Fantasyrollenspiel

02.09.2008



Zur Geschichte des Fantasyrollenspiels

Auszug aus:
Ronja Flick: Fantasyliverollenspiel. Geschichte und theatrale Aspekte. Magisterarbeit, Universität Leipzig 2003. Überarbeitete Fassung.

Gliederung:
1. Pen & Paper
1.1. Ursprünge
1.2. Dungeons & Dragons
1.3. Weiterentwicklungen und Verzweigungen
- Von 'Empire of the Petal Throne' bis 'RuneQuest'
- Computer- und Postrollenspiele
- Expansionen
- Call of Cthulhu
- Spielbücher
- Boom
- Cyberpunk und World of Darkness
- Magic - The Gathering
- Die späten 1990er Jahre
1.4. Pen & Paper in Deutschland
2. Liverollenspiel
3. Fazit
Anmerkungen
Literatur

1. Pen & Paper

1.1. Ursprünge

Die Wurzeln des Fantasyrollenspiels (FRS) liegen einerseits in der sich (mit Vorläufern im 18. Jahrhundert) im 19. Jahrhundert herausbildenden Gattung der Phantastischen Literatur, umfassend Science Fiction-, Schauer- bzw. Horror- und Fantasyliteratur, andererseits in der Entwicklung von taktischen Spielen. Als älteste solcher taktischer Spiele sind Dame, Schach und das ostasiatische Go bekannt, denen es jedoch aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrades an einem direkten Bezug zu ihren historischen und militärischen Ursprüngen fehlt, im Gegensatz zur modernen Form des taktischen Spiels, den Konfliktsimulationsspielen (1). Das erste Spiel dieser Art war das 1811 von Baron von Reisswitz entwickelten ‚Kriegsspiel’, das mit einem Sandtisch sowie bereits mit Würfeln, Tabellen und Charakterdarstellungen der beteiligten Feldherren operierte. Nach dem preußisch-französischen Krieg wurde in den 1870er Jahren eine Version dieses Kriegsspiels von der englischen Armee im Rahmen der taktischen Ausbildung eingesetzt. 1915 publizierte H. G. Wells, einer der Begründer der modernen Science Fiction, mit ‚Little Wars’ erstmals ein Kriegsspielregelwerk für den nichtmilitärischen Gebrauch. Doch erst seit 1953, durch die Veröffentlichung des ersten derartigen Brettspiels, ‚Tactics’, durch Charles S. Roberts, Gründer der Avalon Hill Game Company, dem später größten Hersteller von Kriegsspielen (engl. wargames), wurden diese einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Roberts stieß damit auf eine Marktlücke (2), weil bei Spielern ein Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen und militärischen bzw. strategischen Problemstellungen bestand. Die im Folgenden entwickelten Konfliktsimulationsspiele (KoSims) operierten mit Landkarten als Spielfeldern und Spielfiguren zur Simulation von Streitkräften, um historische Feldzüge nachzustellen, oder auch um bei der Simulation möglicher zukünftiger militärischer Konflikte die reale Welt in der Spielwelt modellhaft nachzugestalten. Darin war die Vielfalt des thematischen Hintergrundes, die für das später aufkommende Konzept des Pen & Paper (P&P) charakteristisch ist, bereits angelegt.
Eine Variante der KoSims stellte das sogenannte Tabletop dar, das auf einem dreidimensionalen Areal stattfand. Im Tabletop wurden einzelne, örtlich begrenzte Schlachten durchgespielt. Das Spielfeld und die Spielfiguren mussten höheren ästhetischen Ansprüchen genügen als die des KoSim. Seit den 1960er Jahren entwickelte sich, zeitgleich mit der wachsenden Zahl und Organisation von Science Fiction Fans, im angloamerikanischen Raum eine Subkultur von Tabletopspielern mit eigenen Vereinigungen, Publikationsorganen, Kongressen und einem spezifischen Jargon (die spätere Rollenspielerszene entwickelte sich ähnlich). 1965 gründete Ernest Gary Gygax, der als der Erfinder des Tisch- oder Papierrollenspiels, des P&P gilt, mit Freunden in Lake Geneva, Wisconsin die Tactical Studies Association, einen Club für Tabletopspiele. Zu dieser Zeit war bereits eine Variante von Kriegsspielen bekannt, bei der außer den Spielern zusätzlich einen unparteiischen Spielleiter gab, ein Prinzip, das sich später im P&P wiederfand: das Szenario ‚Braunstein’, basierend auf den napoleonischen Feldzügen, eingeführt von Dave Wesely vom Verein Twin Cities Wargaming. Eines der populärsten Tabletops ist bis heute das erstmals 1983 veröffentlichte ‚Warhammer’.
Neben der Etablierung der Tabletopszene war die Veröffentlichung der vollständigen Ausgabe von J. R. R. Tolkiens Romantrilogie ‚The Lord of the Rings’ 1966 in den USA ein weiteres wichtiges Ereignis, das zur Entwicklung von FRS führte. ‚The Lord of the Rings’ hatte einen durchschlagenden Erfolg v.a. bei Studenten, hiervon ging ein allgemeiner Fantasyenthusiasmus aus, insbesondere in den Buchverlagen. Dieser Enthusiasmus wirkte sich auch auf die Tabletopszene aus: Die Spieler begannen, nun u.a. die in Tolkiens Roman beschriebenen Schlachten nachzustellen. In Lake Geneva, Wisconsin führte Gary Gygax Fantasyelemente in die Schlachtensimulationen der von ihm veranstalteten wargames ein, dabei war er weniger von Tolkien, vielmehr von Robert E. Howards ‚Conan’-Romanen beeinflusst, von Lyon Sprague de Camp, H. P. Lovecraft und weiteren Schriftstellern. Gemeinsam mit einigen anderen schrieb Gygax eine frühe Version von ‚Chainmail’, dem ersten Fantasy-Tabletop, das auch Regeln für den Kampf gegen Trolle oder Drachen sowie Festlegungen für den Gebrauch von Magie enthielt. In einer der ersten Ausgabe seiner Zeitschrift ‚Domesday Book’ entwarf Gygax zudem die Landkarte des Great Kingdom, auf dem die Mitglieder des Tabletopclubs Castle and Crusade Society ihre „Besitztümer“ eintragen konnten. Damit war die erste „Hintergrundwelt“ für Fantasyspiele entstanden.
Dave Arneson, einer der Spielleiter bei Twin Cities Wargaming, trug 1968 als einer der ersten sein Territorium im Great Kingdom ein, das Herzogtum Blackmoor, wo er im Folgenden seine Kriegsspiele stattfinden ließ. Gygax kreierte parallel zu Blackmoor die Spielwelt Greyhawk, beide flossen später in die Entwicklung von Dungeons & Dragons ein. In Arnesons Spielen wurden bereits fiktive Spielercharaktere für jeden Teilnehmer als Spielfiguren verwendet und das Konzept der stufenweisen Steigerung von Fähigkeiten dieser Spielercharaktere durch das Sammeln von Erfahrung im Kampf oder beim Erringen von Schätzen eingeführt, auch diese Prinzipien fanden später Eingang in das P&P. Das Szenario von Blackmoor beschränkte sich zunächst auf die Darstellung eines mittelalterliches Schlosses. Inspiriert von einem Spiel, das in den Labyrinthen unterhalb dieses Schlosses stattfand, kreierte einer von Arnesons Spielern, Dave Megarry, das Brettspiel ‚Dungeon’, für das er exakte Karten bzw. Spielpläne von Labyrinthen zeichnete. Damit waren die ersten „Dungeons“ (dt. Verliese) geboren. Dungeons sind bis heute beliebte Spielfelder im Fantasyrollenspiel, auch im Liverollenspiel werden, sofern die Möglichkeiten und Mittel dafür vorhanden sind, Dungeons gebaut. 1971 wurde das Spielkonzept für Blackmoor und Greyhawk auf dem Spielekongress GenCon (Abkürzung für Geneva Convention) vorgestellt. GenCon hatte bereits 1968 zum ersten Mal stattgefunden und wurde seither jährlich ausgerichtet, auf dem ersten GenCon hatten sich Arneson und Gygax kennengelernt und standen seitdem miteinander im Austausch.
Ebenfalls 1971 wurde in dem eigens gegründeten Spieleverlag Tactical Studies Rules (TSR) das von Gygax und seinen Mitspielern entwickelte wargame ‚Chainmail’ publiziert, 1972 in einer zweiten Auflage, erweitert durch ein „fantasy supplement“. Anstelle der Kampfregeln für Miniaturen, die jeweils eine Einheit von zehn Soldaten repräsentierten, enthielt diese Ergänzung Regeln für individuelle Spielercharaktere, Helden oder Zauberer, für den Einsatz von Magie im Kampf, sowie für Monster und nichtmenschliche, teilweise von Tolkien übernommene Kreaturen wie Hobbits (in Dungeons & Dragons schließlich wegen Urheberrechtsproblemen in halflings umbenannt), Zwerge, Elfen, Goblins, Orks, Trolle, Drachen, Elementare, Balrogs und Ents. Durch diese Grundlegungen für verschiedene „Rassen“ war eine weitere Voraussetzung für die Entwicklung von P&P geschaffen. ‚Chainmail’ wurde in den folgenden Jahren von Gygax und Arneson kontinuierlich weiterentwickelt.

1.2. Dungeons & Dragons

1972 kreierte Gygax, wobei er Anregungen Arnesons bezüglich der Dungeons sowie einiger Regeländerungen übernahm, in der Nachfolge von ‚Chainmail’ die erste Version von ‚Dungeons & Dragons’ (D&D), dem „Urpapierrollenspiel“ (das zunächst noch als „The Fantasy Game’ bezeichnet wurde), und ließ sie von verschiedenen Spielergruppen testen. Anfang 1974 wurde schließlich D&D, nachdem es bei anderen Herstellern, u.a. Avalon Hill, abgelehnt worden war, bei TSR veröffentlicht. Das D&D von 1974, das in der Hintergrundwelt Mystara spielte, kann allerdings noch nicht als P&P im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, weil die Elemente des herkömmlichen Tabletops noch einen integralen Bestandteil ausmachten (D&D wurde zunächst nicht als „role playing“ bezeichnet, die erste Edition des Spiels nannte es „Fantasy Medieval Wargame, Playable with Paper and Pencil and Miniature Figures“). Schlachten wurden jedoch individualisiert: Die Spieler übernahmen die Rolle des Führers eines Heerhaufens, dem Vorläufer der Abenteurergruppe. Diese „Heerführer“, die unmittelbaren Vorgänger der Spielercharaktere (SCs) des P&P wurden durch Zahlenwerte definiert, anhand derer die Konsequenzen ihrer Aktionen im Spiel bestimmt wurden. Damit etablierte sich das sogenannte class and level system, bei dem die SCs einer Profession (Klasse) mit bestimmten Fertigkeiten zugeordnet wurden. Die Fertigkeiten konnten durch das Sammeln von Erfahrungspunkten (EPs) im Spiel, die das Aufsteigen in Stufen (Levels) ermöglichten, gesteigert werden (die Einteilung der SCs in Klassen, in „(Arche)Typen“ ist bis heute im P&P gebräuchlich, wird im Liverollenspiel jedoch zum Zweck einer variantenreicheren Darstellung aufgelockert). Die SCs, gewissermaßen die Spielfiguren, stiegen beim Spielen der ersten Version von D&D in einen aus mehreren Ebenen bestehenden Dungeon hinab, in dessen Räumen es Monster (z.B. Drachen) zu bekämpfen und Schätze zu sammeln galt, wobei der Schwierigkeitsgrad und die Höhe der Belohnung im Verlauf des Spiels gesteigert wurde. Die frühe Version von D&D repräsentiert einen typischen Spielstil des P&P, das sogenannte hack and slay, bei dem die SCs als „Charaktere“ (in einem literarischen Sinn) weitgehend eindimensional bleiben, da es unnötig ist, ihnen mehr als eine Motivation durch Mordlust und Goldgier zuzuschreiben, um das Spiel erfolgreich durchlaufen zu können. Nichtsdestotrotz lag mit dem frühen D&D der Prototyp dessen vor, was später als role-playing game bzw. Rollenspiel in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen würde (der englische Begriff ist weniger mehrdeutig als seine deutsche Übersetzung).
Ebenso wie sein Vorläufer, das Tabletop, fand das neue Hobby role-playing game zunächst nur langsam Anhänger, dennoch sollte sich allein dank der Mundpropaganda der Umsatz von TSR zukünftig jährlich verdoppeln. Die sich herausbildenden Spielergruppen waren fasziniert von der innovativen Spielidee und der phantastischen Spielwelt, es ergab sich allerdings immer wieder die Notwendigkeit, die Regeln den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend zu modifizieren – diese Situation hat sich bis heute nicht geändert. Schon bald nach der Veröffentlichung von D&D wurden in Reaktion auf diese Umstände neue Versionen des Spiels entwickelt, und die Spielergemeinschaft, der Tradition der Tabletop-Fangemeinde entsprechend, trug im Folgenden Diskussionen um die „korrekte“ und „beste“ Art und Weise des „Rollenspielens“ in Newsletters, Fanzines und anderen Publikationsorganen aus.

1.3. Weiterentwicklungen und Verzweigungen

Von 'Empire of the Petal Throne' bis 'RuneQuest'

D&D folgten rasch weitere Spielsysteme nach. Diese Weiterentwicklungen des P&P standen in Beziehung zu der fortgesetzten Diskussion um die Notwendigkeit von komplexen Regeln zur möglichst exakten Simulation von fiktiven Handlungen, gleichzeitig wünschte man sich unkomplizierte Spielbarkeit. Bereits 1975 wurde von M. A. R. Barker, der später als „Tolkien des Rollenspiels“ bezeichnet wurde, mit ‚Empire of the Petal Throne’ bei TSR (das in diesem Jahr aufgrund von Schwierigkeiten zwischen den ursprünglichen Geschäftspartnern als TSR Hobbies Inc. neu gegründet wurde) das erste P&P veröffentlicht, dessen Hintergrund eine detailliert ausgearbeitete, in sich abgeschlossene Fantasywelt, Tekumel, war, für die Barker die fiktive Sprache Tsolyanu entwickelte. Fremde Sprachen sind bis heute als Element des P&P nicht wegzudenken, noch im Fantasyliverollenspiel ist etwa das von Tolkien entwickelte Elbisch eine willkommene Ergänzung zur Darstellung von SCs und ein beliebtes Mittel zur Herstellung von Ambiente. Mit Barkers Erfindung emanzipierte sich das P&P von seiner Herkunft aus dem Tabletop. Ebenso wie ‚Empire of the Petal Throne’ beinhalten sowohl spätere Editionen von D&D als auch beispielsweise die deutschen Spielsysteme ‚Midgard’ und ‚Das Schwarze Auge’, wenn auch weniger elaboriert im Vergleich zu Barkers Spielsystem, Beschreibungen des Pantheons und der Religionen der jeweiligen Hintergrundwelt, Beschreibungen von Regierungen und Verwaltungsstrukturen, Kleidermode, Bräuchen usw. Allerdings erwies sich zunächst ein solches Konzept als nur mit Mühe spielbar und ‚Empire of the Petal Throne’ war kein Erfolg beschert. Eine ähnliche inhaltliche Komplexität wie in diesem Spiel wurde im P&P erst Anfang der 1990er Jahre wieder eingeführt, mit den Spielsystemen der World of Darkness. Seit 1975 wurden neben der Weiterentwicklung des P&P im Bereich Fantasy zunehmend Versuche unternommen, auch P&P anderer Genres zu etablieren.
Ein weiteres hochkomplexes Rollenspiel, ‚Chivalry and Sorcery’ von Edward E. Simbalist und Wilf Backhaus, das 1976 veröffentlicht wurde, brachte weiterhin einige Neuerungen, die sich nachhaltig auf das P&P und letztlich auch auf das Fantasyliverollenspiel auswirkten. ‚Chivalry and Sorcery’ spielte vor dem historischen Hintergrund Frankreichs im 12. Jahrhundert, der Blütezeit des höfischen Rittertums in Europa. Dieser Hintergrund bedingte einen großen Detailreichtum der Spielwelt und ein besonders umfangreiches Regelwerk. Bis heute gilt ‚Chivalry and Sorcery’ als eines der „realistischsten“ Rollenspielsysteme, im Sinn von historischer Korrektheit und Genauigkeit von Realitätssimulation bei den Spielaktionen, aber auch als eines der kompliziertesten, weshalb es schon seit den frühen 1980er Jahren nicht mehr verwendet wurde. ‚Chivalry and Sorcery’ führte Stammeskulturen wie etwa die der Wikinger als Gegner anstelle der hergebrachten Monster ein. Die eigentlich nicht als SCs vorgesehenen Spielfiguren solcher Art wurden später (wie viele ursprüngliche „Bösewichte“) von den Spielern auch als SCs verwendet. Eine weitere Innovation von ‚Chivalry and Sorcery’ war die Einführung einer individuellen Herkunftsgeschichte zur Spezifizierung eines SC sowie dessen Einbettung in ein soziales System. Außerdem gehörte es zum „Realismus“ des Spiels, dass Klassen wie Priester „tatsächlich“ predigen und missionieren oder Magier „tatsächlich“ Zauberzutaten sammeln, magische Formeln aufsagen und Rituale durchführen mussten. Dieses „realistische“ Ausspielen eines SC setzte sich in dieser detailreichen Form im P&P nicht durch, da es zu zeitraubend war, wurde jedoch im Liverollenspiel zu einem wesentlichen Spielprinzip.
Im Fahrwasser des Erfolges von D&D brachten verschiedene Firmen, einschließlich TSR, zahlreiche Nachahmungen auf den Markt, die sich jedoch weder regeltechnisch noch inhaltlich wesentlich von ihren Vorgängern unterschieden, so dass der Enthusiasmus für das FRS schließlich einzuschlafen drohte. Einen neuen Impuls brachte das der Fantasy verwandte Genre Science Fiction. 1977 kreierte Ken St Andre das erste Science Fiction-P&P, ‚Starfaring’, das allerdings wenig erfolgreich war. Im gleichen Jahr publizierte Mike Miller ‚Traveller’, das mit seinem flexiblen, transparenten Design bis heute als eines der besten Science Fiction-Rollenspielsysteme gilt. ‚Traveller’ war enormer kommerzieller Erfolg beschert, dank der durchschlagenden Wirkung des ersten Films aus George Lucas’ Star Wars-Reihe, der 1977 in die Kinos kam. Hier zeigten sich erstmals die Wechselwirkungen zwischen Massenmedien und Rollenspielerszene, die immer noch bestehen.
Mit dem Erfolg von ‚Traveller’ begann die Entwicklung einer heute weit verzweigten Industrie für Rollenspiele. TSR brachte eine vereinfachte, auf den Massengeschmack zugeschnittene Version der Regeln von D&D heraus, das ‚Dungeons & Dragons Basic Set’, das sich über zehn Jahre millionenfach verkaufte. Eine neue Subkultur etablierte sich, deren Angehörige sich nach dem Vorbild der Tabletopszene und der Science Fiction-Fangemeinde mit eigenen Publikationsorganen und einem spezifischen Slang ausstatteten sowie regelmäßige Versammlungen (engl. conventions) abhielten. Im Rahmen von Veranstaltungen wie GenCon wurden bereits früh Kostümparties veranstaltet, häufig zu Werbezwecken für neue Rollenspielprodukte. Das Zusammenkommen in mittelalterlich anmutender Gewandung dürfte auch einige Anregungen für die Entstehung von Fantasyliverollenspiel gegeben haben.
Das Jahr 1978 brachte einen weiteren Durchbruch auf dem Gebiet der FRS. Mit ‚RuneQuest’ von Steve Perrin und Ray Turney erschien das erste Rollenspielsystem, in dem Hintergrundwelt und Regelwerk eine Symbiose eingingen, während bis dahin, etwa in ‚Empire of the Petal Throne’ oder ‚Chivalry and Sorcery’, oft eine Diskrepanz zwischen beiden bestanden hatte, was Schwierigkeiten bei der Durchführung der Spiele verursacht hatte. In der Hintergrundwelt von ‚RuneQuest’, Glorantha, deren fiktive Kosmologie nach klassischem Muster in einem Krieg jüngerer gegen ältere Götter begründet lag, welcher mit der „Erfindung“ der Zeit endete, und die neben herkömmlichen Zutaten wie Elfen und Zwergen v.a. Elemente bronzezeitlicher, griechischer und mesopotamischer Kulturen beinhaltete, verschmolzen Mythologie und Geschichte zu einem konsistenten System, das zudem erstmals Herkunft und Wirkungsweise von Magie (in diesem Fall der sogenannten „Runenmagie“) erläuterte, anstatt deren Vorhandensein bloß zu setzen. Im Vergleich dazu begann man für D&D zwar schon 1977, das Konzept einer umfangreicheren Hintergrundwelt einzuführen, detailliert ausgearbeitet wurde diese jedoch erst zehn Jahre später. Nach dem Vorbild des Regelwerks von ‚Traveller’ führte ‚RuneQuest’ elaboriertere Regeln für die sogenannten Fähigkeiten oder Fertigkeiten ins FRS ein. Die Fertigkeiten dienten zur Definition und Handhabung des SC und konnten, was eine Neuerung gegenüber ‚Traveller’ darstellte, durch das Absolvieren von Abenteuern bzw. Questen im Spiel unabhängig vom Stufenaufstieg verbessert und ergänzt werden (skill based system). Wichtiger war jedoch, dass die Festlegung von Fertigkeiten erstmals außerhalb der Kampfregeln das Spielen von nichtkämpferischen SCs ermöglichte. Das Konzept der Fertigkeiten zur Beschreibung der Spielmöglichkeiten eines SC hat sich seither nicht nur im P&P, sondern auch im regelwerkbasierten Liverollenspiel bewährt. ‚RuneQuest’ erreichte im angloamerikanischen Raum einen ähnlichen Beliebtheitsgrad wie D&D.

Computer- und Postrollenspiele

Schon früh trat das FRS in Wechselbeziehungen mit der Computerkultur. Nicht wenige Rollenspieler setzten sich, beruflich oder als Hobby, mit den Möglichkeiten der neuen Technik auseinander und so ließ die inhaltliche Verbindung von FRS und Computerprogrammen nicht lange auf sich warten. 1979 erschien mit ‚(Ad)venture’ das erste Rollenspiel als Computerspiel. Es handelte sich dabei um ein textbasiertes Programm, in dem ein Spieler durch einen virtuellen Dungeon geführt wurde. Aus diesem Computerspiel entwickelten sich die Multi User Dungeons (MUDs), wie z.B. das deutsche Programm ‚Anderland’ (http://al.mud.de/), die, in der Regel auf Textbasis, interaktiv von mehreren Spielern über das Internet ausgeführt werden können. MUDs werden teilweise von Menschen gespielt, die andere Formen von FRS noch nicht kennen, daher kann MUD zu einem Einstieg in das FRS allgemein werden.
Bis heute wurden außerdem zahlreiche Videospiele entwickelt, die auf Charakteristika bzw. Regelwerken des FRS aufbauen (3). Zu den Autoren solcher Spiele gehören u.a. auch die Schrifsteller Terry Pratchett und Douglas Adams. Beispiele für Videospiele dieser Art, die aufgrund ihres Erfolges mitunter mehrere Fortsetzungen und Ableger erlebten, sind ‚Ultima’ (1980)‚ ‚The Bard’s Tale’ (1985), ‚Might and Magic’ (1986), ‚Dungeon Master’ (1987), ‚Heroes of the Lance’ (1988), ‚Diablo’ (1997), oder ‚Baldur’s Gate’ (1998). Bereits Mitte der 1990er Jahre waren etwa ein Drittel aller Videospiele auf dem Markt auf D&D basierende oder zumindest von D&D inspirierte Fantasyspiele. Dann schien die Nachfrage kurzzeitig abzuflauen, doch phantastische Computerrollenspiele verschiedenster Ausprägung nahmen seit etwa 1997 erneut stetig an Zahl und Beliebtheit zu. Heute zählt beispielsweise das Online-FRS ‚World of Warcraft’ weltweit über zehn Millionen Nutzer.
Neben Computerspielen erfreuen sich die ebenfalls in den 1970er Jahren aufgekommenen sogenannten Play by Mail-Spiele noch immer gewisser Beliebtheit. Dabei handelt es sich um Strategiespiele, die sich in ihrer Struktur dem Tabletop oder P&P annähern. In Play by Mail-Spielen werden die Mitspieler von einem Spielleiter per (elektronischer) Post über den Spielstand und die Aktionen der andern Spieler informiert und teilen auf gleichem Weg ihre Spielzüge mit (4).

Expansionen

1979 erschien nicht nur das erste Computerrollenspiel, TSR gab in diesem Jahr auch, auf Basis der gesammelten Änderungs- und Verbesserungsvorschläge der Spieler, die zweite Generation von D&D, das ‚Advanced Dungeons & Dragons’ (AD&D) heraus. Zu dieser Zeit konnten die Verleger bereits mit recht großer Sicherheit mit einem kommerziellen Erfolg rechnen. Mit AD&D bewies sich ein weiteres Mal die nicht nur inhaltliche, sondern auch formale Bindung des P&P an die Literatur: Die detaillierteren und ausgewogeneren Spielregeln und die Beschreibung der Hintergrundwelt füllten drei umfangreiche Bände. Auch von Lawrence Schick wird in ‚Heroic Worlds – A History and Guide to Role-Playing Games’ der literarische Charakter der Spiele betont. Schick merkt an, dass seit dem Wachsen des Marktes für P&P Ende der 1970er Jahre viele talentierte Schriftsteller sich mit dem Verfassen von Regeln und Quellenbüchern beschäftigten, ebenso orientieren sich die Verfahren zur Publikation der Rollenspielliteratur an den Standards der Buchverlage.
Ebenfalls 1979 begann aufgrund des Verschwindens von „James“ bzw. Dallas Egbert, das Presseberichte mit D&D in Zusammenhang brachten, die Problematisierung von FRS auf einer breiteren öffentlichen Ebene. Während sich die Erfolgsgeschichte von D&D durch den Fall Egbert und weitere nun etwas einzutrüben begann, wurden in den USA immer mehr P&P publiziert, was v.a. thematische Neuerungen mit sich brachte. Die Spielsysteme befassten sich u.a. mit dystopischer Science Fiction und dem japanischen Mittelalter (letzteres beeinflusste inhaltlich spätere Versionen von D&D sowie das Fantasyliverollenspiel). Das Spiel ‚Bushido’ brachte zudem erstmals die Idee ein, die Verteilung von EPs, die mit den in Zahlenwerten ausgedrückten Fertigkeiten eines SC zusammenhingen und diese verbessern konnten, von der Qualität einer dem jeweiligen SC gerecht werdenden Darstellung durch den Spielers abhängig zu machen und nicht nur, wie bisher, von dessen Anteil etwa am Lösen von Aufgaben oder Besiegen von Feinden während eines Abenteuers. Der Anspruch der „charaktergerechten“ Darstellung fand sich später v.a. im Liverollenspiel wieder.
Seit 1980 erregte P&P zunehmend das Interesse der Massenmedien. Der Markt für P&P wuchs, ebenso wuchsen Zahl und Größe von Rollenspielerclubs und Conventions in den USA. Um diesen eine Dachorganisation zu bieten, gründete TSR 1981 die ‚Role Playing Games Association’ (RPGA), die heute weltweit Millionen von Mitgliedern hat. Die Spieler bzw. Spielleiter selbst trugen zur Vergrößerung des Rollenspielmarktes bei, indem sie eigene Abenteuer oder ganze Hintergrundwelten und Regelsysteme selbst kreierten. Weil sie keinen Zugang zu den Rollenspielverlagen fanden, publizierten sie ihre „Erfindungen“ nicht selten im Selbstverlag, eine Praxis, die bis heute besteht. Einige der Eigenproduktionen von Spielern wurden in den USA zu Grundsteinen erfolgreicher professioneller Unternehmungen auf dem Rollenspielsektor. Andere publizierten später Fantasyromane oder wurden Drehbuchautoren. So wirkte das FRS wieder zurück auf die Medien, aus denen es inhaltlich gespeist wurde. 1980 kam zudem das erste Universalspiel heraus, wenn auch zunächst nur für das Genre Fantasy: das aus den Regeln von ‚RuneQuest’ abgeleitete ‚Basic Role-Playing’. Das erste (und bis heute erfolgreichste) Universalspiel, das tatsächlich für alle Arten von P&P genutzt werden konnte, folgte 1986, das ‚Generic Universal Role-Playing System’ (GURPS). Bei solchen Universalspielen handelt es sich um Regelwerke, auf deren Grundlage ohne Wechsel des Spielsystems P&P in den verschiedensten Spielwelten möglich ist.

Call of Cthulhu

Noch 1981 folgte eine kleine Sensation mit der Veröffentlichung des später äußerst erfolgreichen, auch in Liverollenspielen umgesetzten Horror-P&P ‚Call of Cthulhu’. Es wurde auf der Basis der gleichnamigen literarischen Vorlage H. P. Lovecrafts von 1926 sowie eines reduzierten Regelwerks nach dem Vorbild von ‚RuneQuest’ durch Sandy Petersen entwickelt. H. P. Lovecraft gilt als einer der Begründer der modernen Science Fiction und baute seine Romane um die „Old Ones“, gottgleiche, uralte Außerirdische, zum sogenannten Cthulhu-Mythos aus. Das P&P ‚Call of Cthulhu’ ist das erste rein investigative Rollenspiel, in dem nicht länger Wert auf die Elemente Kampf und Schatzsuche gelegt wird. Das Regelwerk dient dabei nicht mehr der möglichst genauen Simulation der Spielwelt und der Aktionen der Spieler, es handelt sich um das erste auf storytelling ausgelegte Spielsystem. Storytelling ist eine Erweiterung der bis dahin gepflegten Spielstile, sozusagen das Gegenteil zum Stil des hack and slay, und bezeichnet eine Rollenspielweise, deren primäres Ziel nicht mehr das Bestehen einer Queste ist, sondern bei der das imaginative Ausspielen im Vordergrund steht (5), wobei die „Story“ über ein einzelnes Abenteuer hinaus beliebig lang fortgeführt wird. Diese Vorgehensweise ist nicht zu verwechseln mit dem im P&P üblichen Kampagnen, die aus mehreren zusammenhängenden Questen bestehen. Bei ‚Call of Cthulhu’ besteht darüber hinaus die Besonderheit, dass die SC nicht gegen einen besiegbaren Gegner vorgehen, wie es im FRS bis dahin üblich war (dass das Gute das Böse überwindet, kann man hier als für das Genre Fantasy typisches Schema bezeichnen). Die Abenteurer stehen permanent unter der unentrinnbaren Bedrohung durch einen letztlich unbesiegbaren „namenlosen Schrecken“, eben jenen Cthulhu.

Spielbücher

Ein weiteres Novum war 1981 die Publikation des ersten sogenannten Fighting Fantasy Game Book, ‚The Warlock of Firetop Mountain’ von Steve Jackson und Ian Livingstone vom 1975 gegründeten britischen Games Workshop (6) (KoSim, Tabletop und P&P wurden relativ früh nach Großbritannien exportiert). Diese Form von FRS ist Deutschland unter den Bezeichnungen Soloabenteuer (solo gamebook) oder Spielbuch (variable plot novel) bekannt und wird z.B. in den Verlagsprogrammen für D&D oder ‚Das Schwarze Auge’ angeboten. Im Spielbuch führt der Leser einen SC, der im Buch festgelegt ist oder eigens erschaffen, „ausgewürfelt“ wird, durch die einzelnen Kapitel des Buches. Am Ende jedes Kapitels entscheidet sich der Leser anhand von vorgegebenen Wahlmöglichkeiten, wie sein SC auf eine beschriebene Situation reagiert und wird entsprechend seiner Wahl auf ein weiteres Kapitel verwiesen. Der Kampf gegen Monster und andere Gegner wird mitunter vom Zufall bestimmt und mit Würfeln nach bestimmten Regeln ausgetragen. Trifft der Leser die richtigen Entscheidungen und beendet er jeden unausweichlichen Kampf siegreich, gelangt er zum Schluss der Geschichte. Falsche Entscheidung können in eine Sackgasse oder zum Tod des SC führen. Das Prinzip ähnelt dem textbasierter MUDs. ‚The Warlock of Firetop Mountain’ war so erfolgreich, dass es bald zahlreiche Nachahmungen nach sich zog. Noch heute ist diese Form des FRS v.a. bei jüngeren Spielern bzw. Lesern beliebt. Die Spielbücher sind mitunter der Einstieg oder Übergang zum P&P.

Boom

Anfang der 1980er Jahre verlegte sich die Rollenspielindustrie inhaltlich auf die Produktion von Spielen, die auf Comics, Romanen, Fernsehserien und Filmen (7), häufig mit Fantasythematik, basierten. So wurde z.B. ‚Middle Earth Role Playing’ (MERP) herausgebracht, das auf der von Tolkien erfundenen Welt basierte. Neben MERP ist bis heute auf dem Rollenspielmarkt ‚Elric!’ präsent, das auf den ‚Elric’-Romanen von Michael Moorcock aufbaut (der erste Roman dieser Reihe war ‚The Dreaming City’ von 1961). Zahlreiche andere von literarischen Werken inspirierte P&P wurden publiziert und verschwanden wieder, u.a. ‚The Scarlet Pimpernel’, basierend auf dem Roman von Emmuska Orczy von 1905, und ‚Conan’, das auf die Heftromane von Robert E. Howard zurückgeht, dem „Vater“ des literarischen Genres der Sword and Sorcery Fantasy bzw. Heroic Fantasy, die neben Tolkiens ‚The Lord of the Rings’ als Hauptinspirationsquelle des FRS gelten kann (der erste Roman der ‚Conan’-Serie war 1932 ‚The Phoenix on the Sword’).
Ebenfalls zu Beginn der 1980er Jahre führten Games Workshop und andere Spieleverlage außerdem das P&P auf die Ebene des Brettspiels zurück. Brettspiele mit einem entsprechenden inhaltlichen Bezug, meist zu P&P des Genres Fantasy, die teilweise sogar Rollenspielelemente beinhalteten, wurden breitenwirksamer im allgemeinen Spielwarenhandel verkauft und damit zu einer weiteren Einstiegsmöglichkeit von Nachwuchsspielern in das P&P.
1982 wurde, nachdem der Film ‚The Wrath of Khan’ großen Zuspruch beim Kinopublikum gefunden hatte, das auf der Fernsehserie ‚Star Trek’ basierende P&P ‚Star Trek – The Roleplaying Game’ veröffentlicht, dessen Erfolg in der Attraktivität eines ausgearbeiteten, bereits bekannten (erfundenen, zukünftigen) Universums sowie einer spezifischen Ideologie begründet lag (die Produktion dieses Spiels musste allerdings Ende der 1980er Jahre wegen Urheberrechtsstreitigkeiten eingestellt werden, ein Problem, dass bei P&P nicht selten auftrat). Um gegen solche Spiele konkurrenzfähig zu bleiben, griff TSR erneut auf das Potential der Fantasyliteratur zurück und brachte seit 1984 die mit AD&D inhaltlich verwobene Romanreihe ‚Dragonlance’ heraus, die von den Autoren Margaret Weis und Tracy Hickman begründet wurde. Die ‚Dragonlance’-Bücher führten lange Zeit die Bestsellerlisten in den USA an. Die Romane erhöhten die Attraktivität von AD&D für die Spieler, weil einerseits die Protagonisten der Bücher Abenteurer nach Vorbild von AD&D waren, was ein hohes Maß an Identifikation des Lesers ermöglichte, und sie andererseits eine detailliert geschilderte, ausbaufähige Hintergrundwelt, Krynn, für AD&D bereitstellten. Aus ‚Dragonlance’ entwickelten sich nicht nur weitere Romane, Computerspiele etc. sondern wiederum ein darauf basierendes P&P. 1984, zehn Jahre nach der Publikation der ersten Edition von D&D, hatte TSR einen Umsatz von etwa 35 Millionen Dollar zu verbuchen. In der folgenden Zeit brachte TSR fünf Versionen von AD&D auf den Markt, deren Regelwerke den unterschiedlichen Grad der Erfahrenheit der Spieler berücksichtigten, die einesteils Anfänger waren, sich andernteils schon bis zu einem Jahrzehnt lang mit P&P beschäftigten. AD&D wurde in eine Zeichentrickserie umgesetzt und ein Filmprojekt wurde geplant (‚Dungeons & Dragons’ in der Regie von Courtney Solomon kam allerdings erst 2000 in die Kinos).
In den frühen 1980er Jahren begannen die Rollenspielverlage in den USA einerseits, anstatt immer ausgeklügeltere Regelsysteme auf den Markt zu werfen, sich wieder einfacheren Formen von P&P zuzuwenden, andererseits sich wieder stärker auf die Rollenspielfangemeinde zu konzentrieren, weil sich abzeichnete, dass das Konzept des P&P, das viel Zeit und Kreativität erforderte, für den Massengeschmack letztlich nicht tauglich war. Trotzdem hatte FRS einen gewissen Einfluss auf die Populärkultur, was sich sowohl in der Beliebtheit von Fantasyromanen, als auch in der Spielzeugindustrie, die die begehrten ‚Masters of the Universe’-Actionfiguren und Ähnliches herausbrachte, und in dem zunehmenden Stellenwert der Genres Science Fiction und Fantasy in der Filmindustrie zeigte. Mitte der 1980er Jahre waren in den USA, im Gegensatz zu dem beschränkteren Angebot in Deutschland, unzählige Rollenspielsysteme erhältlich, die neben Fantasy und Science Fiction alle möglichen Genres abdeckten, welche sich in den Kategorien „Agenten und Detektive“, „Wildwest“, „Piraten und Seefahrer“ sowie „Superhelden“ zusammenfassen lassen. Darunter war z.B. auch das Fantasy-P&P ‚Dragonraid’ (1984 erschienen), ein an der Bibel und den christlichen Glaubensgrundsätzen orientiertes Spiel, das sich allerdings schlecht verkaufte.
Letztendlich triumphierte D&D bzw. AD&D. 1987 publizierte Ed Greenwood mit ‚Forgotten Realms’ eine weitere Hintergrundwelt für AD&D, die noch erfolgreicher war als die Welt von ‚Dragonlance’. Die 1989 folgende zweite Edition von AD&D brach alle Verkaufsrekorde, während andere vormals erfolgreiche Spielsysteme wie ‚RuneQuest’ oder ‚Tunnels & Trolls’ von 1975 (ein Spiel mit einfachen Regeln in direkter Reaktion auf das mangelhafte erste Spielsystem von D&D) praktisch vom Markt verschwunden waren. Nichtsdestotrotz war das vormalige Monopol von TSR inzwischen gefallen, damit verlor sich endgültig der Fokus der Rollenspielproduktion auf das Genre Fantasy und auch das Interesse der Spieler daran, denen nun eine Fülle von neuen Möglichkeiten zur Verfügung stand, begann zu erlahmen.
Neben dieser kommerziellen Entwicklung existierte jedoch eine Strömung, innerhalb derer die Spieler das P&P nicht nur als kompetitives Spiel mit dem Ziel eines wie auch immer gearteten Gewinnens betrachteten, sondern es, insbesondere durch das Praktizieren des Spielstils des storytelling, auf eine kreative, experimentelle Weise betrieben und als eine Art Kunstform interpretierten. Schick fasst diese Ansicht folgendermaßen zusammen: „Role-playing is a new approach to storytelling, a new and separate form of fictive art. It’s a way of simulating and understanding life [...]. It might best be compared to jazz or some other forms of improvisatory art. [...] In role-playing, the game designer or scenario author is the composer, but the players do the real work of creating the story and acting out the parts – and, as with jazz, it’s never the same twice. [...] in its highest form, with a talented and sympathetic group of players, the results can be high drama – or high comedy“ (Schick, S. 15). Die Diskussion, die innerhalb der Rollenspielerszene um die Frage geführt wurde, inwiefern P&P als Kunstform, als „performing art“ zu begreifen sei, wurde schließlich, seit etwa Mitte der 1990er Jahre, auf eine wissenschaftlich-theoretische Ebene überführt (8).

Cyberpunk und World of Darkness

P&P hatte sich Ende der 1980er Jahre entwickelt von personalisierten Kriegsspielen zu einer dramatischen storytelling-Spielweise. Einher mit dem zunehmenden Wert, der auf storytelling gelegt wurde, ging die Kreation von Spielen des Genres Dark Future Science Fiction, auch als Cyberpunk-Rollenspiele bezeichnet, die eine düstere, vollends industrialisierte und computerisierte zukünftige Welt ausmalten, in der Computer, Drogenkonsum, Gewalt und der Kampf gegen alles beherrschende Großkonzerne die zentralen Motive darstellten. Von Spielsystemen aus dem Bereich Cyberpunk wird in Deutschland v.a. ‚Shadowrun’ gespielt, worin das futuristische Ambiente mit Fantasyelementen wie Magie und Rassen wie Elfen, Zwergen etc. vermischt wird.
Cyberpunk inspirierte Steampunk, das im ebenfalls düsteren Zeitalter der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert spielte. Die im Steampunk angelegte „viktorianische“ Atmosphäre wurde voll ausgeschöpft in einem revolutionären Genre, das Anfang der 1990er die Welt des FRS zu erobern begann. 1991 stellte Mark Rein-Hagen ein neues Spielsystem vor: ‚Vampire – The Masquerade’. Dieses Spiel vermischte den ohnehin populären übermenschlichen Heldentypus (als SC) mit dem Grusel von ‚Call of Cthulhu’ und der düsteren, von Paranoia beherrschten Welt des Cyberpunk. Zwar hatte es ähnlich gestaltete Vorgänger gegeben, doch erst mit ‚Vampire’ fand in einer Zeit, in der Filme wie ‚Bram Stoker’s Dracula’ (1992), ‚The Crow’ (1994), ‚Frankenstein’ (1994) oder ‚Interview with the Vampire’ (1994), nach einem der zahlreichen Vampirromane von Anne Rice, erfolgreich waren, der erste Vertreter des Genres Gothic Punk ein Publikum auf breiterer Ebene (9). Das Spiel sprach, da es sich in einen populären Trend einfügte, auch Menschen außerhalb der Rollenspielerszene an und fand sein Publikum u.a. in der Gothic-Subkultur. Nicht nur ‚Vampire’ selbst, auch nachfolgende, daran orientierte Spielsysteme wie ‚Werewolf – The Apocalypse’ und ‚Mage – The Ascension’, deren Spielwelten zusammen mit der von ‚Vampire’ die sogenannte World of Darkness bildeten, welche als eine Art „Paralleldimension“ zur Alltagswelt verstanden wurde, wurden später in Liverollenspiele transformiert. ‚Vampire’ war zudem das einzige Spielsystem in der Geschichte des P&P, das genug Einfluss auf das Massenpublikum ausübte, um in eine Fernsehserie, ‚Kindred – The Embraced’, umgesetzt zu werden, die aufgrund mangelnder Qualität allerdings bald wieder eingestellt wurde (10). ‚Vampire’ vereinte in sich simple Regeln, eine äußerst detaillierte Hintergrundwelt, die eine dichte Atmosphäre im Spiel heraufbeschwor, sowie Pathos und emotionale Tiefe in der Gestaltung der Plots und der SCs, die auf das Ausspielen einer „Lebenszeit“ angelegt waren (welche bei untoten und damit „unsterblichen“ Geschöpfen wie Vampiren recht ausgedehnt sein konnte). Mit dem ausgeklügelten Design von ‚Vampire’ stiegen außerdem die Ansprüche an P&P v.a. in Hinblick auf die äußerliche, visuelle Gestaltung der Spiele, teilweise wurde der Stil, die Art der Präsentation sogar als wichtiger erachtet als der Inhalt. Aufgrund dieser Entwicklung erhielt endgültig die bildende Kunst einen zentralen Stellenwert innerhalb der Rollenspielerszene. Darüber hinaus setzten die Spiele der World of Darkness den Detailreichtum der Hintergrundwelt als Standard, der in der folgenden Entwicklung des P&P immer wieder übernommen wurde, was dazu führte, dass heutige Spielsysteme in der Regel ein gewisses Spezialistentum der Spieler erfordern, wohingegen der Anteil an eigener Phantasie der Spieler, die sonst die Lücken der bisher bekannten Settings ausfüllte und die Hintergrundwelt erweiterte, eher eingeschränkt wurde.
Mit ‚Vampire’ setzte sich generell der Stil des storytelling, bei dem das Erzählen der Geschichten, durch die sich die SCs bewegten, mit möglichst geringem Regelaufwand im Mittelpunkt stand, im P&P durch und drohte, die konventionellen Abenteuerplots zu marginalisieren. Eine Gegenbewegung, die gegenüber der inhaltlichen Komplexität und Seriosität der World of Darkness die Simplizität und den Spielspaß behauptete, setzte ein und brachte zahlreiche Parodien von ‚Vampire’ sowie verwandten Spielen hervor, die ein einfaches Regelsystem mit den actiongeladenen Plotprinzipien des auf KoSim und Tabletop zurückgehenden P&P vermischte. Einige dieser Spielsysteme basierten auf japanischen Mangas bzw. Animes oder auf den Martial Arts-Filmen der Hongkonger Filmindustrie. Dies führte zu einer Spaltung der Rollenspielerszene in den USA. Ein Teil derselben pochte auf das Primat des Spielspaßes, ein anderer Teil hielt die seriöse, „literarische“ Art des P&P für die einzig richtige Spielweise (welche natürlich ebenso Vergnügen bereitete, wenn sie auch anspruchsvoller in der Durchführung war). Diese Differenzen sind bis heute spürbar.

Magic – The Gathering

Letztlich wurde P&P jedoch in Popularität und finanziellem Erfolg übertroffen durch das erste Sammelkartenspiel mit Fantasythematik, das, obwohl es kein Rollenspiel ist, heute das Bild der Öffentlichkeit von FRS mitprägt, da es sich großer Beliebtheit auch in der Rollenspielerszene erfreut. ‚Magic – The Gathering’ (11) wurde 1993 von Richard Garfield veröffentlicht. Ebenso wie D&D rasch weitere Spielsysteme nach sich gezogen hatte, folgte auf ‚Magic’ eine große Zahl von ähnlichen Collectible Card Games (CCGs), die sich an Fernsehserien, Filme etc. anlehnten und teilweise die Entwicklung neuer P&P inspirieren. CCGs wurden zu einer Einstiegsmöglichkeit in die Rollenspielerszene, als die meistgespielten P&P-Systeme, auch AD&D, aufgrund ihrer wachsenden Komplexität für Anfänger unattraktiv geworden waren.

Die späten 1990er Jahre

Seit Mitte der 1990er Jahre stagnierte der Markt für P&P in den USA und die Umsätze der Rollenspielverlage gingen zurück. 1997 meldete TSR Konkurs an. Die Rollenspielindustrie erholte sich jedoch bald wieder, indem sie zunächst darauf setzte, Erweiterungen zu den bisher erfolgreichen Spielsystemen zu publizieren. Eine Nostalgiewelle brachte in den USA Neuauflagen bereits verschwundener P&P. Außerdem wurden nach bewährten Methoden neue Spielsysteme entwickelt, u.a. fand das Genre Science Fiction wieder mehr Beachtung und erlebte seit Mitte der 1990er Jahre einen Aufschwung, der wohl dem anhaltenden Erfolg von ‚Star Wars’ zu verdanken war. Der Markt wurde internationaler, es begann ein Austausch zwischen Spieleentwicklungen aus den USA, Japan und zahlreichen europäischen Ländern. Jene Unterhaltungsindustrie wurde nach wie vor getragen von der eingeschworenen Rollenspielerszene, obwohl diese ihr teilweise aufgrund der kommerziellen Orientierung der Spielehersteller feindlich gegenüberstand. Die Systeme für P&P, Liverollenspiel und dem Rollenspiel verwandte Spiele zusammengenommen, sind weltweit bis heute weit über tausend Spielsysteme erschienen (12).
Seit der ersten Version von D&D entwickelte sich das P&P von einem sogenannten class and level system, in dem die Spieler ihre SCs durch das Anhäufen von EPs stufenweise ausbauten, über das skill based system, das durch ‚RuneQuest’ und ‚Traveller’ eingeführt wurde und das Stufensystem mit dem System der (wiederum durch EPs verbesserbaren) Fertigkeiten kombinierte, welches die SCs definierte und aufgrund der zahlenmäßigen Festlegungen eine genauere Simulation von Spielaktionen ermöglichte, zu den storytelling systems der World of Darkness, in denen das Rollenspielen und das Geschichtenerzählen gegenüber der Simulation von Ereignissen per Würfelwurf und Berechnung einen zentraleren Stellenwert einnimmt (13). Heute werden sowohl skill based systems, die um die storytelling-Komponente reduziert sind, als auch storytelling systems gespielt.
Die Rollenspielerszene im Allgemeinen, die Spieleautoren im Bereich Fantasy-P&P im Besonderen, v.a. in den USA, erweitern ständig ihr inhaltliches Repertoire, indem sie Mythen, historische Gegebenheiten, literarische Werke, filmische Vorlagen und mittlerweile auch Computerspiele, die teilweise wiederum auf Rollenspielen basieren, in der Kreation von Hintergrundwelten für ihre Spielsysteme anverwandeln. V.a. der Rückgriff auf die Fantasyliteratur ist immer wieder zu bemerken, generell ist das FRS, betrachtet man die umfangreichen Regelwerke, die Beschreibungen der Hintergrundwelten, die Beschreibung von Rassen, Monstern etc. ein durchaus „literarisches“ Spiel.
Das Repertoire an möglichen Regelwerken, die P&P-Spielern heute zur Verfügung stehen, ist nicht abgeschlossen und statisch, sondern wird äußerst variabel gehandhabt. An die Spiele haben P&P-Spieler unterschiedliche Ansprüche (exakte Simulation von Kämpfen, möglichst große Spielfreiheit, „realistische“ Hintergrundwelten etc.), sie suchen aber v.a. nach Abwechslung, nach Spannung, nach dem Reiz des Neuen. Daraus resultiert die große Anzahl verschiedener Spielsysteme, die nicht unbedingt aufgrund von Innovationen im Regelwerk gekauft werden, sondern v.a. aufgrund ihrer unterschiedlichen Hintergrundwelten, den unbekannten, fremden Kreaturen und neuartigen Charakterklassen mit noch nie dagewesenen Fertigkeiten. Noch zahlreicher als die Spielsysteme selbst sind die zur Auswahl stehenden Module, die von den Rollenspielverlagen vorproduzierten Abenteuer, denn jede Queste sollte eine weitere Reise ins Unbekannte sein, um den Spielspaß zu garantieren (daher kann jedes Modul von einer Spielergruppe nur einmal gespielt werden). Auch wenn Spielregeln notwendig sind, sind die Spielwelt, wie auch immer sie jeweils gestaltet sein mag, die SCs (und NSCs, den Nichtspielercharakteren) sowie der Plot die eigentlich wesentliche Grundlage für P&P. Im Verlauf eines Spiels wird die Hintergrundwelt zunehmend detaillierter ausgemalt, ebenso werden die SCs durch das Sammeln von Spielerfahrung, von EPs ausgestaltet (was dann in der Regel eine Verkomplizierung der Abenteuer nach sich zieht).
Trotz der angedeuteten thematischen Bandbreite und den unterschiedlichen Wünschen der Spielergemeinschaft bleibt, selbst wenn sich die P&P-Spieler gerne in Streitigkeiten um die idealen Regeln ergehen (wovon, trotz der geringeren Regelhaftigkeit, auch die Liverollenspielerszene nicht ganz frei ist), das Wesentliche beim P&P die Tätigkeit des (Rollen)Spielens an sich. „The truth is that form, style and system are as much a matter of personal taste as setting. Even the very purpose and nature of roleplaying games is so varying as to be practically indefinable. Whether we engage the wargame-esque orc-killing dungeons crawls, or try to create a “mature” and dark story-telling forum, or anywhere in between, we [are] still roleplaying. There are a million of ways to play, and no form is in any way superior to others. Roleplaying is an amazing idea, and it [cannot] be put into little boxes or measured against an arbitrary standard. And for that matter, neither can gamers” (Astinus/Darlington, Part VIII, [S. 4]).



1.4. Pen & Paper in Deutschland

Ende der 1970er Jahre kam das FRS durch die Science Fiction-Fangemeinde nach Deutschland, dem Bekanntwerden von P&P gingen dabei Tabletops und Play By Mail-Spiele voraus. Die ersten, die sich hierzulande mit FRS befassten, waren u.a. die Mitglieder des Science Fiction Clubs Deutschland (SFCD) sowie die Fellowship of the Lord of the Lands of Wonder (Follow), eine bereits 1966 aus der Science Fiction-Fanszene heraus gegründete Gruppierung, die neben der Beschäftigung mit Fantasyliteratur auch mittelalterlich anmutende Zusammenkünfte in Gewandung abhielt und damit bereits eine Form des Liverollenspiels praktizierte. Follow (www.follow.de) entwickelte die erste bespielbare Fantasywelt, Magira, deren Geschichte seit 1968 in dem Spiel ‚Armageddon’ simuliert wurde, dessen Konzept dem Tabletop ähnlich war, aber mit Einzelspiefiguren (die also nicht militärische Gruppen repräsentierten) funkionierten, deren Spezifika jedoch im Laufe des Spiels nicht, etwa durch das Sammeln von EPs, verändert werden konnten. 1976 wurde das Urregelwerk von D&D von Follow-Mitglied Josef Ochmann von einer Englandreise mit nach Deutschland gebracht (D&D war erst 1975 durch den eigens gegründeten Games Workshop in Großbritannien eingeführt worden). 1977 begannen die Spieler von Follow, das D&D-Regelwerk an ihre Spielwelt Magira anzupassen und erste zusammenhängende Abenteuer zu entwickeln. Jürgen E. Franke entwickelte parallel dazu seit 1978 vor dem Hintergrund von Magira und nach dem Vorbild von ‚Empire of the Petal Throne’ eine erste fortlaufende Rollenspielkampagne und ein äußerst komplexes Spielsystem, dessen Regeln eine exakte Simulation von Ereignissen und Spielhandlungen ermöglichen sollten. Er veröffentlichte das Spiel, das später als ‚Midgard’ bekannt wurde, in einer ersten Version unter dem Titel ‚Empires of Magira’ zusammen mit Elsa Franke im Selbstverlag, den ersten Teil 1981, den zweiten 1983. 1978 wurde außerdem durch Franke und andere der Club für Fantasie und Simulationsspiele e.V. gegründet, der u.a. die erste deutsche Rollenspiel-Zeitschrift ‚Mythos’ herausgab, die später in ‚Spielwelt’ und 1989 in ‚WunderWelten’ umbenannt, 1999 jedoch eingestellt wurde. Die Mitglieder von Follow entzweiten sich allerdings mit Franke, weil sie eine andere Auffassung von Regeln und der Repäsentation der Spielwelt vertraten. Sie pflegten eine eigene Spielvariante unter dem Titel ‚Abenteuer in Magira’. Während das P&P in seinem Ursprungsland, den USA, Anfang der 1980er Jahre einen regelrechten Boom erlebte, schloss man in Deutschland also gerade erst Bekanntschaft mit dem FRS. Es erregte hier zunächst in den Kreisen Aufmerksamkeit, bei denen Fantasy- und Science Fiction-Literatur beliebt waren (wobei Fantasyliteratur, abgesehen von den Werken Tolkiens, generell in Deutschland noch keinen großen Bekanntheitsgrad hatte und sich zunächst als Genre eher auf dem Gebiet der Jugendliteratur etablierte).
Nach ‚Empires of Magira’ erschien 1983 ‚Schwerter und Dämonen’, die deutsche Übersetzung von ‚Tunnels & Trolls’, fand jedoch keine besonders weite Verbreitung. Kurz darauf wurde die deutsche Übersetzung von D&D herausgebracht. Damit wurde aufgrund einer großangelegten Werbekampagne FRS erstmals in der BRD einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Aufgrund seiner mangelhaften Übersetzung war D&D zunächst kein Erfolg beschert, dank des nun größeren Bekanntheitsgrades von P&P konnte jedoch 1984 das deutsche P&P ‚Das schwarze Auge’ (DSA) wesentlich erfolgreicher vermarktet werden (und ist bis heute das meistverkaufte P&P in Deutschland). DSA wurde von Ulrich Kiesow entwickelt, der seit 1978 mit seiner Spielergruppe D&D sowie andere Spielsysteme aus den USA ausprobiert hatte, diese aber als zu regelhaft empfand. 1985 und 1986 wurde ‚Midgard’ mit einem gründlich überarbeiteten Regelwerk erneut publiziert und sprach nun eine größere Spielerschaft an, was weitere Veröffentlichungen zu diesem Spielsystem nach sich zog (seit 1989 beinhalteten weitere Veröffentlichungen zu diesem Spielsystem eine andere Hintergrundwelt, was sich aus Schwierigkeiten mit den Inhabern der Rechte an Magira ergab). 1985 veröffentlichten außerdem Michael Vogt und Ute Lorenz das jüngste deutsche FRS, das von D&D und ‚Midgard’ inspirierte ‚Magie und Macht’, das anders als die meisten Spielsysteme auf dem deutschen Markt einen hohen Anteil an freiem Rollenspiel vorsah. Das Regelwerk von ‚Magie und Macht’ war jedoch insgesamt problematisch und so konnte sich dieses Spiel nicht durchsetzen. 1986 erschien die Übersetzung von AD&D, die jedoch ebenso wie D&D an Mängeln in der Übersetzung krankte und sich als (ohne Kenntnis des Originalregelwerks) unspielbar herausstellte. 1987 wurde MERP als ‚Mittelerde-Rollenspiel’ (MERS) auf Deutsch veröffentlicht und konnte sich etablieren. Im gleichen Jahr wurde ‚Abenteuer in Magira’ erstmals einem größeren Kundenkreis zugänglich gemacht, blieb aber dennoch eine Art Geheimtipp. 1990 erschien schließlich AD&D in einer zweiten Auflage und verbesserten Übersetzung und fand bald eine große Spielerschaft.
Trotz vorhandener deutscher Publikationen wurde und wird der deutsche Rollenspielmarkt von Übersetzungen englischer Spielsysteme dominiert und damit ist die P&P-Szene in Deutschland in der USamerikanischen P&P-Szene verwurzelt, im Gegensatz etwa zu Schweden oder Frankreich, wo man produktiver im Entwickeln eigener Spielsysteme ist. „[...] deutsche Eigenentwicklungen sind selten und entstammen meist der Fanszene. Trotz mancher guter Ideen scheitern diese Systeme in der Regel an mangelndem Layout, ausbleibendem „Nachschub“ oder untauglichen Vertriebswegen“ (Nagel, S. 49). Das Bild, das die deutsche Öffentlichkeit bis heute von P&P hat, wurde v.a. von AD&D und DSA und seiner Hintergrundwelt Aventurien nachhaltig geprägt. Bis Ende der 1990er Jahre erschienen in Deutschland zahlreiche Bände mit Regelwerken und Beschreibungen der Hintergrundwelten von D&D bzw. AD&D und DSA. Zu den gebräuchlichsten Spielsystemen zählen neben diesen ‚Shadowrun’ (seit 1992) und u.a. ‚Vampire’ (seit 1993), ‚Star Wars’ und GURPS (seit 1994), das Fantasy-P&P ‚Earthdawn’ (seit 1995) sowie ‚Star Trek’ (seit 1996). Einigermaßen erfolgreiche deutsche Eigenentwicklungen, die heute gespielt werden, sind das Science Fiction-Horror-P&P ‚Space Gothic’, das 1993 zum ersten mal publiziert wurde, und ‚Abenteuer 1880’ von 1994, das im 19. Jahrhundert spielt und nach angepassten Regeln von ‚Midgard’ funktioniert, zudem Amateurprodukte wie z.B. ‚Power, Plüsch und Plunder’, in dem man ein Stofftier spielt. Alles in allem ist, trotz zahlreicher Flops im Laufe der Jahre, P&P in Deutschland heute ein erfolgreiches Produkt.

2. Liverollenspiel

Die Anfänge des Fantasyliverollenspiels sind, entgegen einer Vermutung, die vereinzelt innerhalb der Liverollenspielerszene geäußert wurde, nicht in der ferneren Vergangenheit, etwa in theatralen Bräuchen innerhalb höfischer Feste des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit zu finden. Zwar orientieren sich heutige Spieler mitunter an solchen Phänomenen bei der Gestaltung ihrer Liverollenspiele, können schon wegen des großen historischen Abstands aber nicht direkt daran anknüpfen, zumal die Funktionen solcher Feste unter den veränderten sozialen und kulturellen Bedingungen nicht reproduzierbar sind. Menschen haben zu allen Zeit und an allen Orten theatrale Praktiken verschiedenster Ausprägung und Funktion ausgeübt, von den zahlreichen unterschiedlichen Formen der Theaterkunst bzw. des Kunsttheaters, also dem Bereich des Professionellen, ganz zu schweigen. Auch beim Rollenspielen handelt es sich um eine theatrale Praxis, allgemein gesprochen also um typisch menschliches Verhalten. Ungebrochene Traditionslinien zu theatralen Praktiken früherer Epochen, beispielsweise zu konkreten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Festbräuchen, lassen sich jedoch nicht feststellen.
Das heutige Fantasyliverollenspiel hat sich einerseits aus dem Fantasy-P&P entwickelt, v.a. was die Gestaltung von Regelwerken, aber auch die von Hintergrundwelten sowie Charakterklassen und -rassen angeht. Inhaltliche und strukturelle Elemente wurden übernommen und den Bedürfnissen des Liverollenspiels gemäß modifiziert (in Deutschland orientieren sich Teile der Liverollenspielerszene beispielsweise direkt am Vorbild des P&P-Spielsystems DSA). Andererseits war das sogenannte Reenactment, das Nachvollziehen historischer Ereignisse oder kultureller Bedingungen der Vergangenheit (zum Teil aus einem archäologischen oder geschichtswissenschaftlichen Interesse heraus), ein Vorbild für das Liverollenspiel. Ebenso wie KoSim und Tabletop hat Reenactment seine Wurzeln im 19. Jahrhundert. Beeinflusst von der Literatur der Romantik, den Vorstellungen von einem idealisierten Mittelalter folgend, veranstalteten in England bereits seit den 1840er Jahren Mitglieder der dortigen Oberschicht mittelalterliche Spektakel. Es wurden erste Reenactmentgruppierungen gegründet, die sich bemühten, historische Lebensumstände durch das Nachempfinden von Kleidung, Bräuchen etc. mit wissenschaftlicher Akribie nachzustellen. Reenactment in großem Rahmen bezog sich später v.a. auch auf das Nachstellen historischer Schlachten.
In den USA wurde 1966 eine Organisation für Reenactment (bzw. Living History) gegründet, der man wohl einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung des Fantasyliverollenspiels zugestehen muss: die Society for Creative Anachronism (SCA) (www.sca.org). Gründungsereignis war ein parodistisch nachempfundenes mittelalterliches Turnier, das am 1. Mai 1966 in Berkeley, Kalifornien stattfand. Eine der Initiatorinnen war die später erfolgreiche Autorin von historischen und Fantasy-Romanen, Diana L. Paxson, der Name der SCA wurde von der Schriftstellerin Marion Zimmer Bradley geprägt. Die SCA orientiert sich an einer romantisierenden Version des Mittelalters bzw. der Renaissance, bemüht sich um die Verlebendigung vergangener Handwerke und Künste. Die Verwendung von detailliert gearbeiteten, ausgefallenen Kostümen und Requisiten sowie die Pflege mittelalterlicher Musik und Artistik etc. bringen der SCA in den USA einiges Medieninteresse ein. Die „Königreiche“ der SCA erstrecken sich heute über das gesamte Staatsgebiet der USA, die Organisation hat außerdem Zweigstellen weltweit, sie zählt etwa 30.000 aktive Mitglieder (14). Im Gegensatz zu anderen Reenactment-Vereinigungen wird innerhalb der SCA historische Korrektheit nicht immer als verpflichtend angesehen, phantasievolle Gestaltungen, auch wenn sie dem historisch Vorbild nicht ganz entsprechen, werden akzeptiert. Auf Veranstaltungen der SCA nehmen die Teilnehmer eine Rolle (wörtlich „persona“) an. Auch wenn nicht ganz klar ist, inwiefern genau die SCA und die Entstehung des Liverollenspiels miteinander verflochten sind, zeigt doch die Tatsache, dass sich eine solche Vereinigung wie die SCA gründete und erfolgreich dauerhaft etablierte, dass Praktiken wie Fantasyliverollenspiel bereits zu einer Zeit, in der sich die Entwicklung von D&D, dem ersten P&P, in ihrer frühesten Phase befand, sozusagen in der Luft lagen. Sozialformen, Turnierpraktiken, Kostüme und Requisiten sowie der Umstand, dass die Teilnehmer auf Zusammenkünften der SCA Rollen spielten, konnten indirekt oder, wie in Deutschland, direkt zur Orientierung für Fantasyliverollenspieler dienen.
Die Entstehung des eigentlichen Fantasyliverollenspiels ließ allerdings, sieht man von Vorformen wie Gewandungstreffen ab, noch etwa zwölf Jahre nach Gründung der SCA auf sich warten. Die erste bekannte Fantasyliverollenspielvereinigung, hier fokussiert auf den Aspekt des Kampfes, war Dagorhir (www.dagorhir.com). Die Organisation wurde 1977 in Maryland in der Nähe von Washington, D.C. von Bryan Wiese, v.a. aus dem Eindruck heraus, den die Lektüre von ‚The Lord of the Rings’ auf ihn gemacht hatte, gegründet und hat heute Untergruppierungen überall in den USA. Fantasyliverollenspiele von anderen Veranstaltern fanden dann Anfang der 1980er Jahre statt, zeitgleich mit dem Boom des P&P in den USA und Großbritannien. 1981 wurde von den Studenten John Cade und Mark Simmons die International Fantasy Gaming Society (IFGS) (www.ifgs.org) gegründet (15) und man veranstaltete als direkte Umsetzung von D&D (zunächst noch unzureichend ausgestattet, u.a. benutzte man keine Polsterwaffen) ein erstes Fantasyliverollenspiel, The Truing, in Boulder, Colorado. Heute ist die Organisation mit mehr als einem Dutzend Gruppierungen in den USA und weiteren weltweit vertreten, doch in ihrer Gründungszeit fand die von ihnen praktizierte neue Form des FRS zunächst nur wenige Anhänger. Das erste Fantasyliverollenspiel in England Anfang der 1980er Jahre, Treasure Trap, war erfolgreicher, trotz anfänglichen Widerstands in der Rollenspielerszene. Der Erfolg war auch darauf zurückzuführen, dass das Spiel vor histoischer Kulisse stattfand, in einem alten englischen Schloss, Peckforton Castle in Cheshire. Die Treasure Trap-Liverollenspiele fanden bis 1984 statt und zogen insgesamt über 5000 Spieler an, die u.a. auch aus den USA anreisten.
In den USA nahm die Entwicklung des Liverollenspiels bald noch andere Wege. 1982 wurde in Harvard in Cambridge, Massachusetts die Society for Interactive Literature (SIL) gegründet, die Liverollenspiele veranstaltete, allerdings ohne Ansprüche etwa an mittelalterlich anmutende oder Fantasy-Gewandung, Ausrüstung und Kulissen zu stellen (man nannte das „Traditional Theater Style“ im Unterschied zum „Adventure Style“ bzw. „Live Combat“, der für Fantasyliverollenspiel charakteristischer ist) (16). Seit 1986 veranstaltete die SIL an verschiedenen Orten in den USA Liverollenspiele unter den Titeln „Silicon“ und „Intercon“. Für die Spiele der SIL war der Bezug des Liverollenspiels zur literarischen Erzählung bzw. zum Drama wesentlich. 1988 begründete man innerhalb der SIL das erste auf Liverollenspiel bezogene Magazin, ‚Metagame’. Die SIL benannte sich 1991 nach Querelen im Vorstand in Interactive Literature Foundation (ILF) um. Am 31. Dezember 1999 taufte sich die Vereinigung erneut um, in Live Action Roleplayers Association (LARPA). Seit dem Jahr 2000 hat es sich die LARPA zur Aufgabe gemacht, weltweit Liverollenspiele im weitesten Sinne (beispielsweise auch auf Tabletop basierendes Liverollenspiel oder Murder Mystery Games) zu fördern und über Liverollenspiel zu informieren, veranstaltet selbst allerdings keine Spiele mehr: „LARPA does not run games, and does not promote any one system, group, or type of event. LARPA supports and promotes all live roleplaying, and LARPA members come from many different groups, backgrounds, and types of event. LARPA promotes live roleplaying by providing schedule information to make it easier to find an event or group to participate in, and works to educate the general public. LARPA also works to build the live roleplaying community, providing a place for everyone involved in running, organizing, promoting, or just participating in live roleplaying events to network, discuss and learn from each other. One of the principal activities of LARPA is licensure of the INTERCON name for LARP Conventions.”
Fantasyliverollenspiel an sich fand unterdessen im Laufe der 1980er Jahre eine immer zahlreichere Anhängerschaft. 1989 wurde die heute in den USA größte Fantasyliverollenspielorganisation gegründet, die New England Roleplaying Organisation (NERO) (www.nerohq.com). Dort und in anderen Vereinen wurden anfangs teilweise Kämpfe noch mit Würfeln oder Abzählspielen entschieden, letztlich setzte sich jedoch der tatsächlich ausagierte Kampf mit Polsterwaffen durch.
In Deutschland wurde Liverollenspiel sowohl von Reenactment sowie P&P und Play By Mail-Spielen mit Fantasyhintergrund, als auch von der Fantasyliteratur inspiriert. Follow, im gleichen Jahr gegründet wie die SCA, hielt schon seit 1966 Gewandungstreffen ab. Zudem verbreitete sich, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern und in den USA in Deutschland seit den 1970er Jahren zunehmend eine allgemeine (teilweise romantisierende) Begeisterung für das Mittelalter, die bis heute anhält, was sich nicht nur an der Beliebtheit von Filmen und (insbesondere Kinder- und Jugend-)Literatur mit entsprechenden Themen sowie an den Besucherzahlen von Ausstellungen zu Mittelalterlichem ablesen lässt, sondern auch an der zunehmenden Zahl von Mittelaltermärkten oder Mittelalterfestivals mit gewerblichen Händlern und Schaustellern sowie Turnierveranstaltungen, bei denen professionelle Schaukampftruppen auftreten. Sich mittelalterlich zu gewanden und beispielsweise in die Rolle einer Edeldame oder eines Ritters zu schlüpfen fand daher bereits relativ früh, zumindest im dafür als geeignet angesehenen Rahmen, durchaus Anhänger und öffentliche Akzeptanz (17). (Insgesamt blieb letztendlich die Fantasyliverollenspielerszene von der Mittelalterszene, die Fantasy-Elemente eher ablehnt, abgesondert, dennoch gibt es Berührungspunkte sowie Gruppen, die sich schon relativ früh sowohl für die Mittelalterszene als auch für das Fantasyliverollenspiel begeistern konnten, wie z.B. die Badischen Schwertspieler e.V. Anfang der 1990er Jahre.)
Zu Beginn der 1980er Jahre gingen aus dem Verein der Freunde Myras, die ein auf Regelsystemen des Tabletop basierendes Play by Mail-Rollenspiel betrieben, das noch heute via Internet gespielt wird, erste liverollenspielähnliche Veranstaltungen hervor. Bei ‚Myra’ handelte es sich um eine Weltensimulation, in der sich die Teilnehmer durch Jahrhunderte kultureller und politischer Entwicklung innerhalb fiktiver Königreiche bewegen. Der zugehörige Verein veranstaltete Gewandungstreffen und Geländespiele, in denen alle Teilnehmer in Rollen schlüpften und unter der Anleitung von Spielleitern Questen mit offenem Ende nachgingen. Die Mitglieder von Follow erweiterten im gleichen Zeitraum ihre Aktivitäten in Gewandung auf ähnliche Weise. Auch andere Vereinigungen für Play By Mail-Spiele und später P&P-Spielergruppen kamen regelmäßig zu Gewandungstreffen zusammen. In Deutschland begann mit solchen Vorläufern die Entwicklung des Liverollenspiels demnach etwa zur gleichen Zeit, in der sich P&P hierzulande allmählich etablierte.
In den 1980er Jahren praktizierten Rollenspielerkreise in Deutschland außerdem eine weitere Vorstufe des Liverollenspiels, das sogenannte Indoor-Liverollenspiel oder Live Indoor Roleplaying (LIRP), bei denen kleinere Gruppen von Spielern in begrenzten Räumen innerhalb von Gebäuden für einige Stunden unter der Leitung eines Spielleiters ihre Rollen körperlich ausagierten, allerdings ohne Gewandungen etc. Der Rahmen eines P&P wurde dabei im Großen und Ganzen beibehalten. „Einige sehr detailliert ausgearbeitete Liverollenspiele dieser Art sind in den achtziger Jahren im Verlag Schmidt-Spiele erschienen [...], gelegentlich erscheinen heute noch Spielvorlagen in Fantasy-Zeitschriften [...].“ Lars Schiele und Momo Evers, die Autoren des „Liverollenspiel-Handbuchs“ vermuten im LIRP die Wurzel des Fantasyliverollenspiels: „Um tiefer in die faszinierenden Welten der Literatur, des Films oder der eigenen Phantasie vorzustoßen, kann man die Spieldauer [des LIRP, Anm. R. F.] verlängern, Kostüme für alle Mitspieler vorschreiben und sowohl mehr Zeit als auch mehr Platz zum Spielen vorbereiten. Dadurch fällt es leichter, in die Spielwelt zu reisen und für eine kurze Zeit Urlaub vom grauen Alltag zu nehmen. So oder so ähnlich ist das Liverollenspiel geboren worden“ (Schiele/Evers, S. 15). Außerdem war seit etwa Mitte der 1980er Jahre das USamerikanische Live-Spiel ‚Paranoia’ bzw. ‚Killer’ oder ‚Assassin’, bei dem die Mitspieler sich gegenseitig durch spielerische Aktionen „elimieren“ müssen, auch im deutschsprachigen Raum bekannt (das allerdings mit Fantasyliverollenspiel nicht zu vergleichen ist).
Durch Aktivitäten wie Gewandungstreffen und Geländespiele mit Fantasyhintergrund oder LIRPs, die innerhalb der Rollenspielerszene veranstaltet wurden und nicht zuletzt durch die wachsende Beliebtheit des Fantasy-P&P fiel die Idee der Liverollenspiele, wie sie in den USA und England stattfanden, in Deutschland auf fruchtbaren Boden (die deutschen Spieler hatten zum Teil auch Kontakte zur britischen Liverollenspielerszene). Die ersten deutschen Fantasyliverollenspiele fanden seit Ende der 1980er Jahre statt, u.a. 1989 auf der Burg Landeck bei Landau. Zu dieser Zeit waren die Veranstaltungen für Liverollenspiel, die sogenannten Cons, in der Regel noch auf einen kleinen Kreis von Personen beschränkt und kamen ohne ausgearbeitetes Regelwerk aus, es galt mehr oder weniger für die Darstellung von SCs die Richtlinie „Du kannst, was du (darstellen) kannst“. Neben Liverollenspielen mit Fantasyhintergrund und ‚Paranoia’ spielte man bereits Science Fiction- und Cyberpunk- sowie an ‚Call of Cthulhu’ angelehnte Liverollenspiele. In Österreich wurden seit 1988 ebenfalls Fantasyliverollenspiele vom Verein Arioch’s Erben (www.arioch.at) in Wien veranstaltet, seit etwa dem gleichen Zeitraum auch in der Schweiz, durch den Veranstalter Habakuk in Zürich (www.tikon.ch).
Vom 7. bis 12. August 1992 fand in Deutschland das erste Fantasyliverollenspiel in größerem Rahmen, mit 150 Teilnehmern, auf der Starkenburg bei Heppenheim statt, das Draccon. Die Initiatoren des Draccon, die Gründer der Drachenschmiede, einer der ersten kommerziellen Anbieter von Liverollenspielbedarf, sowie einige Spieler waren wiederum Teilnehmer von ‚Myra’. Anlässlich des Draccon wurde eine erste Version des ältesten deutschen Regelwerks für Fantasyliverollenspiel, des punktebasierten ‚DragonSys’, verfasst. Nach 1992 etablierte sich das Liverollenspiel als Form des FRS relativ rasch in der Rollenspielerszene, zudem nahm die Zahl von Vereinsgründungen zu. Zu den ältesten deutschen Liverollenspielvereinen gehören der „Verein zur Förderung mittelalterlicher Spiele e.V.“ (www.dilettanten.de), 1991 in Heidelberg gegründet, und der 1992 gegründete, heute in Leverkusen ansässige „Ring der Abenteurer e.V.“ (www.etraklin.de). Ebenfalls 1992 wurde eine erste professionell hergestellte Liverollenspiel-Zeitschrift herausgegeben, ‚Oglughs Taverne’, der jedoch kein langes Leben beschieden war. In ‚Oglughs Taverne’ waren Artikel über Fantasyliverollenspiel mit Artikeln etwa über Science Fiction-Liverollenspiel oder die SCA in einem Publikationsorgang vereint. Allgemein zog man innerhalb der Liverollenspielerszene - als solche ganz eigene (und zu diesem Zeitpunkt noch relativ einheitliche) begriffen sich die Liverollenspieler selbst - keine strikten Grenzen zwischen den Genres oder auch gegenüber der Reenactment-Szene.
Mittlerweile finden deutschlandweit das ganze Jahr über an fast jedem Wochenende Fantasyliverollenspiele statt. Es werden zwar auch Liverollenspiele etwa mit Science Fiction-Hintergrund veranstaltet, v.a. nach dem Vorbild von ‚Star Trek’, oder Spiele beispielsweise der Genres „Mittelalter“ (ohne Fantasy-Elemente), Krimi, Horror oder Western sowie Spiele, die sich etwa an ‚Shadowrun’, ‚Call of Cthulhu’ oder ‚Vampire’ orientieren (das bis heute vielleicht erfolgreichste kommerzielle Liverollenspielregelwerk, ‚Mind’s Eye Theatre’, das sich an das P&P ‚Vampire’ anlehnt, wurde 1993 in den USA veröffentlicht), aber Liverollenspiele des Genres Fantasy sind diesen zahlenmäßig weit überlegen.Die bisher größte Dimension erreichte das Fantasyliverollenspiel in Deutschland 2001 durch das erste „Massencon“, das die bis dahin bekannte Form der Großcons mit bis zu einigen hundert Spielern in der Teilnehmerzahl bei weitem übertraf: das Drachenfest, zu dem etwa 2000 Spieler zusammenkamen.
Aktuell vollzieht sich insbesondere in Skandinavien eine Weiterentwicklung des Liverollenspiels, die bereits Ende der 1990er Jahre begann. Diese manifestiert sich im Versuch einer Radikalisierung des Spiel- und Darstellungsstils (18) sowie des Spielens als Ausagieren von Utopien in direkter Reaktion auf die realen gesellschaftlichen Gegebenheiten (19). Mit den Versuchen, Liverollenspiel zu „refomieren“ einher geht die Institutionalisierung der theoretischen Diskurse durch jährlich stattfindende Kongresse (Knudepunkt, Solmukohta usw.) und zugehörige Publikationen (20). Orientiert daran werden auch in Deutschland seit 2006 unter dem Titel „MittelPunkt“ ähnliche Kongresse veranstaltet (www.larp-mittelpunkt.de). Auf internationaler Ebene findet zudem seit etwa Mitte der 1990er Jahre und verstärkt in allerjüngster Zeit eine Diskussion um Liverollenspiel im weitesten Sinn als Kunstform statt (21).

3. Fazit

In Deutschland gab es Mitte der 1990er Jahre zwischen 300.000 und 500.000 P&P-Spieler, es finden regelmäßig Conventions mit bis zu ca. 2000 Teilnehmern statt, bei denen mehrere Tage lang P&P, Tabletop etc. auch in Turnieren, gespielt wird. Jüngeren Schätzungen zufolge gibt es zudem ca. 20.000 Liverollenspieler. Die Rollenspieler sind oft in Clubs organisiert, insbesondere Liverollenspieler schließen sich häufig in öffentlich rechtlichen Vereinen zusammen. Von der Rollenspielerszene insgesamt leben mittlerweile nicht nur die spezialisierten Segmente der Spiele- und Buchverlage, sondern auch Hersteller von speziellem Liverollenspielerbedarf, die Gewandungen, Waffen, Rüstungen etc. vertreiben, wie Drachenschmiede, Schatzkammer und weitere oder die Kette Mytholon, die industriell gefertigte Artikel vertreibt. Auch wenn beides nicht in Eins fällt, bestehen enge Wechselbeziehung und viele Überschneidungen zwischen Liverollenspielerszene und P&P-Szene (die sich nicht nur auf das Spielen von P&P beschränkt, Tabletops und weitere thematisch verwandte Spiele gehören ebenso zum Repertoire), diese bildet das weitläufige Umfeld für das Liverollenspiel. Viele Rollenspieler sind begeisterte Leser von Fantasyliteratur, nicht wenige sind – nicht nur im Rahmen des Spiels als Spielleiter und Planer von Plots – selbst literarisch tätig bzw. befassen sich zumindest mit der Ergänzung vorhandener Hintergrundwelten für FRS oder dem Entwerfen neuer. Ein Teil der literarischen Tätigkeit fällt unter die Kategorie Fanfiction, welche häufig im Internet veröffentlicht wird. Das Internet generell gewann seit Beginn seiner öffentlichen Nutzbarkeit, seit Anfang der 1990er Jahre, immer mehr an Bedeutung für die Rollenspielerszene, es dient als Kommunikationsmedium zur Information und Diskussion, mittels Webseiten, Mailinglisten, Foren, Chatrooms, Wikis und nicht zuletzt Online-Zeitschriften, sowie zur permanenten Vernetzung der einzelnen Spieler und Spielergruppen auch außerhalb der eigentlichen Spielveranstaltungen.
FRS ist ein Kind der USamerikanischen Populärkultur der 1960er und 1970er Jahre und hat sich bis heute nicht nur in den USA und Kanada, sondern auch in Australien, Russland und Europa, etwa in Großbritannien, Italien, Frankreich, Skandinavien und im deutschsprachigen Raum in Form von Subkulturen etabliert. Insbesondere auf dem Gebiet des Liverollenspiels sah man dabei nicht selten von den angloamerikanischen Vorbilder ab und beschritt eigene Wege. FRS ist in seinen Themen und Formen äußerst vielfältig, selbst in den jeweiligen genrespezifischen Bereichen. P&P und Liverollenspiel sind letztendlich lediglich die jüngsten und bekanntesten Ausläufer eines weiten Feldes. Innerhalb von etwa zwanzig Jahren hat sich gewissermaßen aus einem (Brett)Spiel mit Spielfiguren eine theatrale Praxis entwickelt. FRS war seit seinen Anfängen Teil eines Massenphänomens mit einer nicht zu unterschätzenden Anziehungskraft, das sich in dem Boom der Fantasyliteratur einerseits und der Ausweitung der Science Fiction-Fangemeinde sowie der Tabletop- und P&P-Szene andererseits manifestierte. Trotzdem ist die Rollenspielerszene, wie viele andere Subkulturen, bis heute bis zu einem gewissen Grad exklusiv geblieben und behält für Außenstehende durchaus etwas Geheimnisvolles.

Anmerkungen

(1) „[...] unter einem Konfliktsimulationsspiel, [...] kurz ‚KoSim’ genannt, ist genau das zu verstehen, was der Name sagt: ein Spiel, in dem sozusagen am ‚grünen Tisch’ ein Konflikt simuliert wird. Solche Konflikte können ökonomischer oder auch sportlicher Natur sein, aber im allgemeinen stehen militärische Problemlösungen im Mittelpunkt, so dass man KoSims vereinfachend auch als taktische und/oder strategische Kampfsspiele bezeichnen kann. Simuliert oder nachgespielt wir bei dieser Spielgattung so ziemlich alles, was es auf unserem Erdball jemals an Kriegen, Feldzügen oder Schlachten gegeben hat – oder vielleicht eines Tages geben wird. Von den Auseinandersetzungen innerhalb der ersten Hochkulturen über die Konflikte der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit bis hin zur aktuellen Gegenwart und Spekulationen über die nahe Zukunft entfaltet sich ein breites martialisches Spektrum, das ergänzt wird durch Fabelkämpfe der fernen Zukunft und in mythischen Reichen der Phantastik.“ (Wolf, S. 10-12.)

(2) Bis heute ist der englischsprachige Markt für KoSims der weltweit größte, allerdings können insgesamt die KoSims aufgrund ihrer hohen Entwicklungskosten und ihrer großen Komplexität nicht mit der Beliebtheit und der Auflagenzahl sowie den Verkaufszahlen herkömmlicher Brettspiele konkurrieren (vgl. Wolf, S. 49).

(3) Vgl. dazu die erste Forschungsarbeit im deutschsprachigen Raum von Sonja Utz: Kommunikationsstrukturen und Persönlichkeitsaspekte bei MUD-Nutzern. Eichstätt 1996 [Diplomarbeit], http://www.tu-chemnitz.de/phil/psych/professuren/sozpsy/Mitarbeiter/Utz/Diplom1.htm (20.05.2003). Weitere Informationen zu MUDs, die häufig in einer virtuellen Fantasywelt spielen, unter www.mud.de (07.05.2003). Weiterführende Informationen zum sich früh ergebenden Zusammenhang zwischen FRS und der Computerkultur bietet die umfassende Studie von Sherry Turkle: Die Wunschmaschine. Der Computer als zweites Ich. Reinbek bei Hamburg 1986, insb. S. 94-100. Unter anderem wird die Spielwelt von D&D mit einem Computerprogramm verglichen, da sie zwar hochkomplex, aber mittels des Regelwerks potentiell vollständig aufschlüsselbar und damit letztendlich bis zu einem hohen Grad kontrollierbar sei, während die reale Lebenserfahrung in einer Welt stattfindet, in der die Menge der Regeln und Handlungsvorgaben abzunehmen scheint. Dabei wird auf die Gefahr hingewiesen, dass die simulierte Welt des Computer oder des P&P der realen vorgezogen werden und der Kontakt zur Wirklichkeit abbrechen kann (vgl. Turkle, S. 97-99).

(4) Vgl. Koch, Karl-Heinz (Hg.): Spiele per Post. Das Abenteuer aus dem Briefkasten. Köln 1989.

(5) „Es geht weniger darum, bestimmte Situationen zu bewältigen, als darum, den Spielfiguren und der Welt eine glaubwürdige Tiefe zu verleihen und interaktiv eine stimmungsvolle Geschichte zu erschaffen. Die individuelle Ausgestaltung des Spiels ergibt sich aus der Kombination der Geschichte, die der Spielleiter erzählen will, und dem Rollenspiel der Charaktere. So vermischen sich die persönlichen Eigenheiten und Bedürfnisse der Spielfiguren mit dem Plot und werden Teil der Handlung. Dabei kann es z.B. passieren, dass ein privates Problem einer der [Spielercharaktere] in den Vordergrund der Handlung rückt.“ (Ulff Lehmann u. Jürgen Pomp: Trolle, Tramps & Troubardoure. Hobby Rollenspiel. Ein Leitfaden. Bochum 1997, S. 46.)

(6) Games Workshop ist eines der weltweit erfolgreichsten Unternehmen der Rollenspielindustrie mit zahlreichen Verkaufsfilialen auch in Deutschland, produziert und verkauft mittlerweile allerdings nur noch Tabletops wie ‚Warhammer’, Spielfiguren und Sammelfiguren.

(7) Unter anderem wurden Rollenspiele zu Filmen wie ‚Star Wars’ (1977-1983), ‚Aliens’ (1987), ‚Indiana Jones’ (1981-1989), ‚Ghostbusters’ (1984 u. 1989) oder der ‚James Bond’-Serie entwickelt.

(8) Vgl. u.a. Daniel Mackay: The Fantasy Role-Playing Game. A New Performing Art. London/Jefferson, North Carolina 2001. Eine erste deutsche Arbeit, die man zum Diskurs um P&P als Kunstform zählen kann, ist die Dissertation von Michael Bhatty: Interaktives Story Telling. Zur historischen Entwicklung und konzeptionellen Strukturierung interaktiver Geschichten – Modifikationen des phantastischen Pan-Genres durch die Vernetzung polymedialer Einflüsse auf Pencil-&-Paper-Rollenspiele und narrative Computerspiele. Aachen 1999 [Diss. Universität Osnabrück]. Bhatty analysiert Erzählstrukturen und Motive von P&P sowie v.a. von Computerspielen wie z.B. ‚Wing Commander’ und zeigt den Einfluss von Film und Fernsehen sowie der phantastischen Literatur auf diese Spiele auf. Vgl. auch Nannie Humbeck: Ein Sänger nun wieder und kein Schreiber mehr. Rollenspiel als interaktive Kunstform. In: Ulrich Janus u. Ludwig Janus (Hg.): Abenteuer in anderen Welten. Fantasy-Rollenspiele. Geschichte, Bedeutung, Möglichkeiten. Gießen 2007, S. 183-196.

(9) Spiele wie ‚Cyberpunk 2020’ und Rollenspiele des Horror-Genre wie ‚Nephilim’ wurden (im Gegensatz zu Deutschland, wo noch keine Kennzeichnungspflicht besteht) in den USA mit Altersbeschränkungen belegt und sind erst für Jugendliche ab 16 Jahren geeignet.

(10) Der allgemeine Trend zu dieser Thematik ist jedoch bis heute ungebrochen und wird von den Massenmedien weiterhin aufgegriffen, was unter anderem erfolgreichen Fernsehserien wie ‚Buffy – The Vampire Slayer’ und deren Spin-Off ‚Angel’, oder Kinoblockbuster wie die Blade’-Trilogie (1998-2004) hervorgebracht hat.

(11) Vgl. William J. Walton: Role Playing Games. The Stigmas and Benefits. In: The Escapist Archives, „Introduction“ [S. 1-2] u. „Evaluating the Problem“ [S. 5], 1995, http://www.theescapist.com/rpgpaper.htm (08.04.2003).

(12) Vgl. Usenet Complete Role-Playing Games List, http://www.omnigroup.com/OldLook/People/surge/rpgs.html (11.06.2002). In dieser internationalen Liste sind neben einer geringeren Anzahl von Liverollenspiel-Regelwerken sowie mit dem Rollenspiel verwandten Tabletops und Brettspielen v.a. P&P aufgeführt. Diese sind in 25 Kategorien bzw. Genres unterteilt und die Spielsysteme, die zu Fantasy, Horror und Mystery gezählt werden, stellen neben denen, die im weitesten Sinne zum Genre Science Fiction gerechnet werden können, die größte Gruppe dar.

(13) Vgl. Brigitte Löcker-Rauter: Fantasy-Rollenspiele. Eine volkskundliche Analyse von Struktur, Funktionen und Risikofaktoren unter besonderer Berücksichtigung von anderen sagenhaften Geschichten. Wien 1996, S. 19-23 [Diplomarbeit].

(14) Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Society_for_Creative_Anachronism (25.08.2008).

(15) Der Name wurde inspiriert von einer fiktiven Gruppe, die von Larry Niven und Steven Barnes in der dreiteiligen Romanserie ‚Dream Park’ (1981-1992), über eine futuristische Form von Liverollenspiel, beschrieben wurde.

(16) Zur hier zugrunde liegenden spezifischen Auffassung von LARP vgl. http://www.larpaweb.net/wiki/index.php?title=LARP (22.08.2008).

(17) Vgl. zu dieser Thematik u.a. den Band Mittelalter-Rezeption der Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 45/1-2, 1998.

(18) Vgl. Dogma 99. A programme for the liberation of LARP, 1999-2001, http://fate.laiv.org/dogme99/en/index.htm (25.08.2008).

(19) Vgl. u.a. G. Widing (Hg.): Radical Role-Playing. Interacting Arts. International Issue, 2006, http://interactingarts.org/data/ia-international-06.pdf (25.08.2008).

(20) Vgl. u.a. Morten Gade, Sander und Line Thorup (Hg.): As LARP Grows Up. The Book from Knudepunkt 2003, http://www.laivforum.dk/kp03_book/ (25.08.2008).

(21) Vgl. u.a. Journal of Interactive Drama 1/1 - 2/3, 2006-2007, http://www.rpg.net/larp/journal/index.html (28.08.2008).

Literatur

Astinus u. Darlington, Steven: A History of Role-Playing. In: Places to go, people to be. The Online Magazine for Roleplayers I-IX, 1998-1999, http://ptgptb.humbug.org.au/ (05.06.2002) u. http://kunst.erzwiss.uni-hamburg.de/Tan/Homepage/Rollenspiel/History/_start.html (01.05.2003).

Bolle, Jörg: LARP-Entwicklung, Statistik 2002-2007, http://www.section32.de/fantasy/larpentwicklung/entwicklung1.html (24.08.2008).

http://www.drosi.de/definition_rollenspiel.htm (26.08.2008).

Eine kurze Geschichte des phantastischen/rekreativen Rollenspiels, http://kunst.erzwiss.uni-hamburg.de/Tan/Homepage/Rollenspiel/geschichte.html (05.06.2002).

Hailer, Markus (Hg.): Oglughs Taverne. Das Magazin für Live-Rollenspiel, erlebte Historie und ScienceFiction 1-2. Creglingen 1992.

Kathe, Peter: Struktur und Funktion von Fantasy-Rollenspielen. Hg. v. Club für Fantasy- und Simulationsspiele e.V. 2. Aufl. Friedberg 1991, S. 12-15 [Diplomarbeit FH Bielefeld], http://www.rollenspielstudien.de/kathe/ (01.05.2003).

Kelm, Bettina: Das Live-Rollenspiel. Theatrale Elemente und Rollenverständnis. München 2002, S. 6-9 [Magisterarbeit].

http://www.larpaweb.net/ (22.08.2008).

http://www.larpwiki.de/cgi-bin/wiki.pl?LarpHistorie (25.08.2008).

Nagel, Rainer: Die Geschichte der Rollenspiele. Von den Anfängen bis in die Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. In: Janus, Ulrich u. Janus, Ludwig (Hg.): Abenteuer in anderen Welten. Fantasy-Rollenspiele. Geschichte, Bedeutung, Möglichkeiten. Gießen 2007, S. 35-54.

Neupert, Sikko: Live-Rollenspiel – ein touristischer Freizeittrend? München 2002 [Diplomarbeit], http://www.larp-diplomarbeit.de, 2.1.2.1 u. 2.1.2.4. (05.01.2003).

Rausch, Alan: Magic & Memories. The Complete History of Dungeons & Dragons I-V, 16.-20.08.2004, http://uk.pc.gamespy.com/articles/538/538848p1.html (25.08.2008).

Schick, Lawrence: Heroic Worlds. A History and Guide to Role-Playing Games. Buffalo, New York 1991, S. 17-34.

Schiele, Lars u. Evers, Momo: Liverollenspiel. Das Handbuch für Spieler, Organisatoren und Interessierte. Erkrath 1999.


Wolf, Robert: Konfliktsimulations- und Rollenspiele. Die neuen Spiele. Köln 1988.



28.08.2008




Die Vorwürfe gegen Fantasyrollenspiele

Auszug aus:
Ronja Flick: Fantasyliverollenspiel. Geschichte und theatrale Aspekte. Magisterarbeit, Universität Leipzig 2003. Überarbeitete Fassung.

1. Ereignisse

FRS, insbesondere D&D, sind bereits seit ihren Anfangszeiten, seit Ende der 1970er Jahre, in den USA in die öffentliche Kritik geraten. Zwischen 1979 und 1991 veröffentlichten die internationalen Presseagenturen Associated Press und United Press 111 Berichte über P&P, die sich in der Regel nur auf D&D bezogen. 80 dieser Berichte standen dem FRS negativ gegenüber, allein drei enthielten eine positive Darstellung, die übrigen verhielten sich zum Gegenstand neutral. Seit Anfang der 1990er Jahre nahm die Einseitigkeit der Berichterstattung langsam ab. Dennoch sind ein Teil der zum FRS vorhandenen wissenschaftlichen Literatur und ein großer Teil der medialen Berichterstattung bis Ende der 1990er Jahre gerade durch die kontroverse öffentliche Diskussion und die ablehnenden Reaktionen der Öffentlichkeit auf P&P motiviert.
Ausgelöst wurde die tendenziell negative Berichterstattung über FRS durch den Fall James Dallas Egbert III. Dieser sechzehnjährige Student der Michigan State University in East Lansing verschwand im August 1979 für einige Wochen spurlos. Seine Familie beauftragte den Privatdetektiv William C. Dear, ihn zu finden. Dear schloss aufgrund einiger Indizien, dass Egbert mit D&D in Kontakt gekommen sei, was der Fall war. Er ging Gerüchten nach, dass D&D an der Universität in den unter dem Campus gelegenen Schächten eines Heiz- und Belüftungssystems auch als Liverollenspiel gespielt würde (1) und zog die Möglichkeit in Betracht, dass Egbert sich in diesem Tunnelsystem befinden könnte, was nicht der Fall war. Dear nahm an, dass Egberts Verschwinden oder sein möglicher Selbstmord auf eine durch das Spielen von D&D ausgelöste psychische Störung zurückzuführen sein könnte. Aus ermittlungstaktischen Gründen gab Dear Informationen über den vermuteten Zusammenhang von Egberts Verschwinden mit D&D an die Presse weiter, obwohl er es für wahrscheinlicher hielt, dass Egbert kein ausgesprochenen Fantasyrollenspieler gewesen sei und dass die Gründe für sein Verschwinden vielmehr in massiven persönlichen Problemen zu suchen seien. Diese hingen damit zusammen, dass Egbert als sogenanntes „Wunderkind“ einem hohen familiären Druck ausgesetzt war. Erschwerend kamen Drogenmissbrauch und die Konflikte, die mit Egberts Homo- oder Bisexualität verbunden waren, hinzu. Egbert kehrte nach etwa einen Monat zu seiner Familie zurück, ein knappes Jahr später, im August 1980, tötete er sich jedoch selbst. Privatdetektiv Dear veröffentlichte 1984 ‚The Dungeon Master. The Disappearance of James Dallas Egbert III’. Darin schilderte er den Fall Egbert detailliert und widerlegte die Theorie, dass dessen Verschwinden und Selbstmord in einem Zusammenhang mit dem Spielen von D&D gestanden hätten. Das Buch wurde jedoch von den Medien wenig zur Kenntnis genommen und konnte somit nicht zur Verbesserung der mittlerweile angeschlagenen Reputation von D&D beitragen. Öffentlich stärker wahrgenommen wurde hingegen der Roman ‚Mazes and Monsters’, den Rona Jaffe 1981 veröffentlichte und in dem sie die Vermutung, dass Egberts Verschwinden mit D&D zusammenhängen könnte, verarbeitete. Der Roman wurde wenig später verfilmt und 1983 (noch einmal 1993) im USamerikanischen Fernsehen ausgestrahlt. In ‚Mazes and Monsters’ verliert der Protagonist durch das Spielen von FRS vollkommen den Bezug zur Realität und lebt fortan an in einer Phantasiewelt. In der öffentlichen Wahrnehmung ging man davon aus, dass die Fiktion von ‚Mazes and Monsters’ Fakten wiederspiegeln würde (was Jaffe später dementierte). So wurde die negative Meinung der Öffentlichkeit auf D&D weiter gestützt. Durch den Fall Egbert entstand das Vorurteil, dass FRS Jugendliche zu einem chronisch eskapistischen (2) Verhalten verführen würden, worin ein gewisses Suchtpotential läge. Man nahm an, dass Jugendliche die Spielwelt der realen Welt vorziehen und schließlich der Vorstellung erliegen würden, sie seien eine andere Person, der von ihnen gespielte Spielercharakter, was einer ernsthaften psychischen Erkrankung gleichkommen würde.
Dem negativen Medienecho auf D&D versuchte TSR entgegenzutreten und bekam Schützenhilfe von der populären Psychologin Joyce Brothers durch deren positives Urteil über FRS. Das allgemeine Vorurteil, D&D könnte zu Realitätsverlust führen und dadurch u.a. Suizide bei Jugendlichen verursachen, festigte sich jedoch durch einen weiteren Vorfall: Am 9. Juni 1982 erschoss sich der sechzehnjährige Irving Lee „Bink“ Pulling im Haus seiner Eltern in Montpelier in der Nähe von Richmond, Virginia mit der Waffe seiner Mutter. Ein Polizist machte Patricia Pulling, die Mutter von Bink, darauf aufmerksam, dass der Suizid möglicherweise mit Satanismus in Verbindung zu bringen sei. Grund dafür waren sechs Abschiedsbriefe, die man bei Bink fand. Einer davon war an seine Eltern gerichtet, darin verglich Bink sich mit Adolf Hitler und dem Antichristen und klagte sich selbst an, weil er ein schlechter Mensch geworden sei. Er sei beauftragt worden, einen Mord zu begehen, habe dies aber nicht fertiggebracht und müsse sich nun selbst das Leben nehmen, um die Welt von einem Übel zu befreien. Binks eigentliche Motive bleiben letztlich unklar, aber unter dem Eindruck des grauenvollen Ereignisses suchte seine Mutter nach Erklärungen. Beim Durchsehen von Binks Habseligkeiten fanden die Eltern Material zu D&D aus seinem Schulunterricht. Patricia Pulling gelangte daraufhin zu dem Schluss, trotz gegenteiliger Aussagen seiner Klassenkameraden, dass ein „Fluch“, mit dem Bink während einer Spielsitzung belegt worden war, ihren Sohn dazu veranlasst habe, Suizid zu begehen: „[...] Bink [hatte] am Tage seines Todes einen Todesfluch erhalten [...]. Der Fluch, den ein anderer Spieler seiner ‚Dungeons & Dragons’-Spielgruppe geschrieben hatte, lautete: ‚Deine Seele ist mein. Ich bestimme die Zeit. Auf meinen Befehl wirst du das Land räumen. Ein Gefolgsmann des Bösen, ein Killer von Menschen’“ (Pulling, S. 23). Sie vermutete, ihr Sohn habe durch die Selbsttötung versucht, den „Fluch“ zu brechen und auf die bei D&D vorhandene Spieloption der „Wiedererweckung“ eines Spielercharakters durch einen „Priester“ gehofft. Sie stellte weitere Nachforschungen über D&D an und ließ sich u.a. von einer Spielergruppe am örtlichen College in das Spiel einweisen. Aufgrund der Ausführungen in ihrem Buch ‚The Devil’s Web’ lässt sich vermuten, dass sie in ihrer damaligen Situation (verständlicherweise) voreingenommen war genau die Informationen aus den Spielsitzungen und der Literatur über D&D entnahm, die ihre Befürchtungen bezüglich des Spiels bestätigten, u.a. die Auffassung, dass der Spielleiter eine allmächtige Position einnähme, die Spieler ihm hörig werden und seine Anweisungen zu „Tragödien“ führen könnten. Pulling verklagte den Direktor von Binks Schule, an der D&D, wie teilweise heute noch in den USA und in Großbritannien üblich, im Rahmen der Begabtenförderung eingesetzt wurde. Nachdem die Klage keinen Erfolg gehabt hatte, gründete Pulling Bothered About Dungeons and Dragons (BADD), eine Initiative, die es sich zur Aufgabe machte, die Öffentlichkeit von den Gefahren, die von D&D angeblich ausgingen, zu überzeugen. Während der folgenden Jahre hielt Pulling Vorträge, veranstaltete Seminare und bot Schulungen für Polizisten an. Ihre Hauptkritikpunkte an D&D waren die von ihr ausgemachten okkulten Elemente des Spiels, die ihrer Ansicht nach einen Einstieg in den Satanismus boten, sowie die Gefahr eines dauerhaften Eskapismus (sie spricht u.a. von „Besessenheit“ durch das Spiel), die Gefahr des Verschmelzens von Selbst und Rolle bei den Spielern und die Anstiftung zur Gewalttätigkeit. Die Aktivitäten von BADD führten in den USA zu einer auch durch christliche Moralvorstellungen motivierten starken Ablehnung von FRS durch die Allgemeinheit. (Pulling selbst war jüdischen Glaubens und ging gegen D&D vor, auch im Zusammenhang mit Satanismus, weil sie das Spiel schlicht für jugendgefährdend hielt.) Die Ansicht, dass D&D gefährlich sei, bedingte (wenn auch in geringerem Maße) ebenfalls in Australien und Frankreich öffentlich negative Reaktionen auf FRS.
In den frühen 1980er Jahren lag der Fokus der Kritik v.a. auf den magischen und okkulten Elementen, die bei der Gestaltung der Hintergrundwelt von D&D verwendet worden waren. Dem Spiel wurde insbesondere von Seiten christlicher Kritiker vorgeworfen, es sei ein Lehrwerk für Schwarze Magie, und die Spieler würden dies auf die reale Welt übertragen. Die Kritik bezog sich häufig auf David Hargraves Quellenbuch für D&D, ‚Arduin Grimoire’ – hierbei war v.a. der Titel abschreckend, da „Grimoire“ allgemein ein Zauberbuch für schwarze Magie bezeichnet – und auf einen Band der zweiten Version von D&D mit dem Titel ‚Deities & Demigods’ (dt. Gottheiten und Halbgötter), in dem über 200 fiktive Götter der Hintergrundwelt von D&D beschrieben und bildlich dargestellt wurden, einhergehend mit der Empfehlung, dass jeder Spieler bei der Erschaffung eines SCs eine Gottheit, an die dieser „glaube“, auswählen solle (3).
1984 trat Pulling zum ersten Mal als Zeugin der Verteidigung in ihrer Eigenschaft als (selbsternannte) Expertin für FRS vor Gericht auf: Im Fall Darren Lee Molitor in St. Louis, Missouri, bei dem erstmals offiziell in einem Gerichtsverfahren ein Mord in Zusammenhang mit D&D gebracht wurde. Dabei wurde der Versuch unternommen, das Gericht von Molitors angeblich eingeschränkter Schuldfähigkeit zu überzeugen mit der Begründung, dass er D&D-Spieler gewesen sei. Das überzeugte den Richter jedoch nicht und Molitor wurde des Mordes für schuldig befunden. Er schrieb allerdings, während er in Untersuchungshaft saß, einen Brief, in dem er warnte, dass D&D aufgrund der enthaltenen Gewalttätigkeiten bei Spielern unkontrollierte Aggressionen hervorrufen könnte. Dieser Brief wurde von Pulling bis Anfang der 1990er Jahre immer wieder als Beweis, der ihre Vorwürfe gegen das Spiel untermauere, herangezogen. Gegenüber Michael A. Stackpole äußerte Molitor später, dass er den Brief unter hohem psychischen Druck verfasst habe und nicht mehr davon überzeugt sei, dass D&D als gefährlich anzusehen sei.
Weil die Verbindung von FRS mit Suiziden und Gewaltverbrechen nicht offiziell anerkannt wurde, weder von den Ermittlungsbehörden noch von den Gerichten, schloss sich Pulling, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, 1984 mit dem Psychologen Thomas Radecki und seiner National Coalition on Television Violence (NCTV) in Champaign-Urbana, Illinois zusammen und erstellte mit ihm gemeinsam eine Liste von insgesamt 128 mutmaßlich mit D&D in Verbindung stehenden Selbsttötungen bzw. Verbrechen (4). Pulling bemühte sich, die USamerikanische Consumer Product and Safety Commission zu veranlassen, die Spielboxen von D&D mit Warnhinweisen zu versehen, scheiterte aber im Januar 1985 mit ihrem Antrag (5). Daraufhin wurde in der öffentlichen Diskussion noch einmal verstärkt auf die vermuteten Zusammenhänge zwischen FRS und Suizidgefahr hingewiesen. Die mit D&D in Verbindung gebrachten Verbrechen wurden fortan der weiten Kategorie der „cult crimes“ zugeordnet, die Ritualmorde, Viehverstümmelung etc. umfasst, was die Glaubwürdigkeit von BADD zunächst erhöhte.
Auch durch den Fall Sean R. Sellers schien die negative Meinung von BADD über D&D auf den ersten Blick unterstützt werden zu können. Sellers litt nachweislich an einer Multiplen Persönlichkeitsstörung. Er spielte als Sechzehnjähriger regelmäßig D&D und gehörte einer satanischen Sekte an. Er ermordete 1985 seine Eltern und 1986 einen weiteren Menschen. Wegen dieser Verbrechen wurde über ihn die Todesstrafe verhängt und 1999 vollstreckt. Bei seiner Verteidigung wurde erneut das, später vor Gericht bei der Verteidigung von mutmaßlichen Straftätern verschiedentlich wiederverwendete, sogenannte „roleplaying argument“ oder spezifischer die „D&D defense“ vorgebracht, indem behauptet wurde, Sellers sei zum Tatzeitpunkt süchtig nach D&D gewesen und habe wegen der Überblendung seiner Persönlichkeit durch seinen Fantasy-Spielercharakter seine Handlungen nicht kontrollieren können. Sellers selbst sagte aus, er sei zum Tatzeitpunkt von dem Dämon „Ezurate“ besessen gewesen. In einem Brief an Stackpole vom 5. Februar 1990 schrieb er, dass es zwar inhaltliche Elemente in D&D gebe, die dem Okkultismus entnommen seien, dass das Spiel jedoch nicht mit seiner persönlichen Verwicklung in den Satanismus in Verbindung stehe und auch nicht die Ursache für seine Verbrechen gewesen sei.
1987 erwarb Pulling eine Lizenz als Privatdetektivin und befasste sich weiterhin eingehend mit Verbrechen, bei denen ein Bezug zu D&D vermutet wurde. In der folgenden Zeit war sie häufiger in Radio- und Fernsehshows zu Gast, um sich gegen D&D auszusprechen. In Reaktion auf die durch BADD in den USA forcierte „moral panic“ in Bezug auf FRS gründeten William Flatt und Pierre Savoie 1988 das Comittee for the Advancement of Role-Playing Games (CAR-PGa), das sich zum Ziel setzte, den behaupteten Zusammenhang der von Pulling gesammelten Kriminalfälle und Suizide mit D&D nachzuweisen. Da dieser Zusammenhang in keinem einzigen Fall bewiesen werden konnte, gelang es CAR-PGa, der Diffamierung von FRS in der Öffentlichkeit ein Stück weit entgegenzutreten. Im gleichen Zeitraum wurde die Überarbeitung von AD&D publiziert. Die Herausgeber hatten aufgrund des öffentlichen Drucks zumindest teilweise mögliche Anspielungen auf den Okkultismus (wie z.B. christliche Bezeichnungen von Dämonen oder deren bildliche Darstellung) aus dem Spiel entfernt. Durch diese Maßnahmen, die bloße Änderung einiger inhaltlicher Elemente, wurde das Spiel selbst nicht verändert, die Überarbeitung blieb für das Wesen von D&D folgenlos (6), die als okkult ausgemachten Elemente waren kein grundlegend notwendiger Bestandteil.
Unbeeindruckt von den Gegenargumenten aus der Rollenspielerszene veröffentlichte Pulling gemeinsam mit Kathy Cawthon 1989 ‚The Devil’s Web’, ein Buch, in dem sie die Arbeit von BADD beschrieb und ihre Vorwürfe gegen FRS zusammenfasste. Darin brachte sie FRS auch in Zusammenhang mit rassistischen Gruppen und der Neonazi-Bewegung in den USA. Um 1990 wurde D&D außerdem verstärkt in Verbindung mit den Auftritten von „Satanisten“ in Boulevardmagazinen des USamerikanischen Fernsehens thematisiert, wodurch D&D wiederum auf die Gleichsetzung mit Satansverehrung reduziert wurde. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass es mittlerweile ca. 7,5 Millionen Fantasyrollenspieler in Nordamerika gab, begann die Öffentlichkeit, eine skeptischere Haltung gegenüber den Argumenten der Anti-FRS-Bewegung einzunehmen. 1990 veröffentlichte Stackpole im Auftrag der Game Manufacturing Association (GAMA) den ‚Pulling Report’, eine Studie, in der die Fragwürdigkeit der Methoden Pullings, Radeckis und weiterer, die dazu dienen sollten, eine befürchtete weltweite satanistische Verschwörung zu beweisen, aufgezeigt wurde. Zudem wurden Pullings einseitige Sichtweise und ihre verschleiernde bzw. verfälschende Darstellung von D&D und der damit in Verbindung gebrachten Kriminalfälle aufgedeckt (7). Daraufhin beendete BADD die öffentliche Tätigkeit. Nach Pullings Tod im Jahr 1997 löste die Vereinigung sich endgültig auf.
Bis heute konnten tatsächliche Zusammenhänge von FRS mit psychischen Störungen oder kriminellem Verhalten nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden: „The American Association of Suicidology, the Center for Desease Control, Health & Welfare Canada, the California Creative and Gifted Children’s Program, the Federal Bureau of Investigation and a handful of universities have studied the allegations that fantasy role-playing games cause suicide or murder. Not a single authoritative source has found any veracity to these claims at all” (Freeman). Ebenso wenig konnte nachgewiesen werden, dass ein Großteil der Rollenspieler in den USA stärker an paranormale Phänomene glaube oder an satanistischen Praktiken interessierter sei als die durchschnittliche Bevölkerung. Somit ist bei Rollenspielern auch kein vermehrter Hang zur Introversion und zu psychotischem Verhalten, wie es bei Satanisten zu beobachten ist, festzustellen (8). Die Studie von Abeyta und Forest von 1991 (9) lässt sogar den Schluss zu, dass Rollenspieler weniger zu labilen Persönlichkeiten und Psychosen neigen als Nichtspieler. Die Ergebnisse der ersten empirischen Studie zu Fantasyrollenspielern von Armando Simón (10) aus dem Jahr 1987 erneut belegend, stellte in Deutschland die Psychologin Jeannette Schmid 1995 in einer Studie nach Auswertung von 77 von Rollenspielern ausgefüllten Fragebögen und entsprechenden Vergleichsdaten der Normalbevölkerung ebenfalls fest, dass die angenommenen negativen psychischen Auswirkungen des FRS empirisch nicht nachzuweisen sind. Untersucht wurden der Persönlichkeitsfaktor „emotionale Labilität“ bzw. Neurotizismus, der die Gefahr der Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit außerhalb des Rollenspiels bedingt, der Faktor Verträglichkeit, der mit der angeblich erhöhten Neigung zur Gewalt zusammenhängt, der Faktor Gewissenhaftigkeit, der die vermutete geringere Leistungsorientiertheit der Rollenspieler beschreibt, und der Faktor „Offenheit für neue Erfahrungen“, der sich als einziger auf ein bestehendes positives Urteil über FRS bezog, das besagt, dass Rollenspieler kreativer und aufgeschlossener seien. Es ergaben sich bei all diesen Faktoren bezüglich der Rollenspieler keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zur Normalbevölkerung, der Faktor Neurotizismus war jedoch bei der untersuchten Gruppe von Rollenspielern etwas geringer ausgeprägt, die Verträglichkeit und die „Offenheit für neue Erfahrungen“ dagegen ein wenig höher. Allerdings belegten die Daten auch, dass die Rollenspieler tatsächlich weniger Gewissenhaftigkeit zeigten. Zusätzlich konnten zwischen jüngeren und älteren, langjährigen Spielern – das Alter der Befragten lag zwischen 14 und 37 Jahren – keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden, sieht man davon ab, dass die langjährigen Rollenspieler etwas weniger extrovertiert als der Bevölkerungsdurchschnitt, aber noch etwas offener für neue Erfahrungen waren. Auch fortgesetztes Spielen von FRS führt also im Normalfall nicht zu psychischen Beeinträchtigungen irgendwelcher Art.
Brigitte Löcker-Rauter bezeichnet die Schauergeschichten über FRS, analog zu dem von dem Volkskundler Jan Harold Brunvand geprägten Begriff der „modern urban legends“, als „moderne Sagen“, die einen Umgang mit einem Fremden, Unbekannten, in diesem Fall dem Phänomen FRS, ermöglichen und in diesem Zusammenhang die Funktion erfüllen, zu belehren und vor möglichen Gefahren zu warnen. Paul Cardwell sieht dagegen die mediale Diffamierung von FRS in den 1980er Jahren als Teil eines Massenwahns („collective delusion“), der die USA in diesem Jahrzehnt erfasste, und der von Brunvand mit dem Terminus „satanic panic“ bezeichnet wurde: „The modern urban legend is a traveling tale, in which the same story is set in various parts of the country and has “actually happened” to a friend of a friend, with only the names of the people and the places changing. A collective delusion, on the other hand, is seen to be a situation that is “everywhere” but “they” are keeping it a secret” (Cardwell).
Trotz der von Simón bzw. Abeyta und Forest erbrachten wissenschaftlichen Belege für deren Ungefährlichkeit verbreiteten Anfang der 1990er Jahre die Medien in den USA teilweise immer noch ein negatives Bild von FRS. Im Mai 1992 wurde der zweiteiliger Fernsehfilm ‚Cruel Doubt’, der einen versuchten Doppelmord als durch das Spielen von D&D motiviert darstellte, in den USA, im August 1993 in Kanada ausgestrahlt. Der Film basierte auf dem Fall Leith von Stein, der 1988 gemeinsam mit zwei Freunden in Washington, North Carolina einen Mordanschlag auf seine Eltern verübte, den nur die Mutter überlebte. Nach Recherchen des CAR-PGa lag diesem Mord das Motiv einer hohen Erbschaft zugrunde.
Die von negativen Bewertungen gefärbte Berichterstattung der USamerikanischen Presse über D&D setzte sich fort und wurde teilweise von den europäischen Medien übernommen. Zum Beispiel wurde der Selbstmord von Christophe Maltese in Paris im November 1994 als von FRS verursacht dargestellt. Mit dem ZDF auslandsjournal in der Ausgabe vom 8. November 1994 berichtete auch eine deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt vom Fall Maltese, ohne den behaupteten Zusammenhang mit FRS zu hinterfragen. Das ZDF auslandsjournal ergänzte dies zudem durch einen Bericht über Liverollenspieler, die angeblich Touristen zu Tode gesteinigt haben sollten.
Während die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen, die in den USA zum FRS vorgenommen wurden, in Deutschland nicht veröffentlicht wurden, wurden die Bücher der Rollenspielgegner, u.a. Pullings ‚The Devil’s Web’, Ende der 1980er bzw. Anfang der 1990er Jahre ins Deutsche übersetzt und publiziert, ihre Konzepte wurden zudem von einigen deutschen Autoren nachgeahmt. In den europäischen Nachbarländern, abgesehen von Großbritannien, kam es zu ähnlich ablehnenden Reaktionen. 1996 formierte sich nach einem sogenannten Rollenspielselbstmord in Italien eine ähnliche Bewegung wie BADD. Mittlerweile hat die Berichterstattung in den deutschen Medien zwar nur noch in wenigen Fällen einen explizit negativen Tonfall, aber auch die oberflächlich betrachtet objektiven Berichte enthalten häufig eine verniedlichende bis spöttische Darstellung von FRS (11).
Obwohl die Vorwürfe und Vorurteile gegen FRS widerlegt wurden, finden sich bis heute negative Bewertungen von Fantasyrollenspielen. Zwischen 1994 und 1997 wurde Rollenspielern in Schweden wiederum vorgeworfen, ihre Aktivitäten würden zu vermehrter Gewalttätigkeit bei Jugendlichen führen und stünden mit dem Satanismus in Verbindung, man beantragte im Parlament sogar, dem schwedischen Rollenspielerdachverband Sverok die staatlichen Zuwendungen zu streichen, was durch eine Studie der zuständigen Regierungseinrichtung Ungdomsstyrelsen, die die positiven Effekte von Rollenspielen erwies, abgewendet werden konnte (12). Noch im Jahr 2005 sah sich daher der australische Geisteswissenschaftler David Waldron dazu veranlasst, sich mit dem Phänomen der „moral panic“ im Umfeld von BADD in den 1990er Jahren und dem Verhältnis von D&D und christlicher Religionsausübung zu befassen. Einer der extremeren Fälle, in dem das Spielen von D&D sich aufgrund von Vorurteilen gegeüber dem Spiel nachteilig für die Spieler auswirkte, wurde ebenfalls 2005 bekannt: Verantwortliche der Israelischen Streitkräfte (IDF) vertraten die Auffassung, dass Rekruten und Soldaten, die D&D spielen, nicht für verantwortungsvollere Posten oder Laufbahnen in Spezialeinheiten in Frage kommen. Wenn Rekruten zugaben, D&D-Spieler zu sein, erhielten sie automatisch eine niedrige Sicherheitsfreigabe. Begründet wurde diese Vorgehensweise so: „They’re detached from reality and suscepitble to influence […]. These people have a tendency to be influenced by external factors which could cloud their judgment […]. They may […] have a weak personality […]” (Greenberg). Es scheint angesichts solcher Umstände, als sei das Wissen um die natürliche und notwendige Fähigkeit des Menschen, Phantasien zu entwickeln und zu spielen und dennoch zwischen Imagination und Realität bzw. Spiel und Ernst differenzieren zu können, in den westlich geprägten Kulturen so stark in den Hintergrund getreten, dass Verständnis für eine Phänomen wie Fantasyrollenspiel mitunter nicht möglich ist.

2. Hintergründe

In Deutschland wurde die Diskussion um mögliche Gefahren durch FRS seit Anfang der 1990er Jahre aufgegriffen. Bedeutsam in diesem Zusammenhang sind v.a. die Studien von Schmid. Die Vorwürfe gegen FRS lassen sich in vier Punkten zusammenfassen. Erstens wird angenommen, dass FRS die Psyche von Jugendlichen bis hin zur Suizidgefährdung negativ beeinträchtige, zweitens sollen FRS zu Gewalttätigkeit und kriminellen Handlungen verleiten, drittens in den Okkultismus bzw. Satanismus einführen und viertens zumindest eine Vernachlässigung von Schule, Ausbildung oder Beruf mit sich bringen. Da das Hobby FRS zeitaufwendig ist (wie viele andere Hobbies auch), trifft letzteres wahrscheinlich zeitweise auf einen Teil der Spieler zu. Andererseits argumentieren diese, dass P&P naturwissenschaftliche, historische, literarische und, soweit man sich mit der Rollenspielliteratur in der englischen Originalsprache beschäftigt, fremdsprachliche Kenntnisse erweitert (was allerdings nur auf das P&P zutrifft).
Der Vorwurf, FRS führe zu Suizidgefährdung, resultiert aus der Annahme, dass mit zunehmender Häufigkeit des Rollenspielens „die Spielwelt für den Spieler wichtiger wird als die reale Welt und [er] irgendwann einen Punkt erreicht, an dem ihm die Unterscheidung schwer fällt. Daraus werden zwei Konsequenzen hergeleitet: Zum einen könnte ihn der Tod seiner Spielfigur so treffen, dass er selbst keinen Sinn im Leben mehr erkennt, zum anderen könnte der Spielleiter so viel Macht gewinnen, dass seinen Befehlen bedingungslos gehorcht wird, auch wenn sie die Person des Spielers akut gefährden. Letztere Begründung wird auch für den postulierten Zusammenhang zwischen Rollenspiel und Gewaltkriminalität herangezogen“ (Schmid). Obwohl von Rollenspielgegnern behauptet wurde, der Spielleiter im P&P besitze die absolute Autorität bzw. sogar von faschistoiden Strukturen in Spielgruppen gesprochen wurde (dies rührt von ironisch gemeinten Spielregeln her wie „Der Spielleiter hat immer recht“ oder gar „Der Spielleiter ist Gott“), ist dies faktisch falsch. Der Spielleiter hat die Aufgabe, den Spielern eine Geschichte zu erzählen und in diesem Rahmen mit ihnen gleichberechtigt zu interagieren. In diesem Sinne ist der Spielleiter ein auktorialer Erzähler bis hin zu einem „deus ex machina“ innerhalb eines Abenteuers. Darüber hinaus hat der Spielleiter auf die Einhaltung der Regeln zu achten, daher wird ihm ein gewisses Maß an Autorität zuerkannt, wie einem Schiedsrichter im Sport (die Spieler legen trotzdem häufig genug Widerspruch gegen seine Entscheidungen ein). Da die Vorbereitungen einer Spielsitzung aufgrund des Erarbeitens des Abenteuers, der notwendigen Kenntnisse der Hintergrundwelt und der Regeln äußerst arbeitsaufwendig ist, wechseln die Spielleiter innerhalb der Spielgruppen, es ist also unwahrscheinlich, dass Abhängigkeiten von einem Spielleiter entstehen. Für Liverollenspiel trifft der der Vorwurf, ein Spielleiter könne sich auf eine absolute Machtposition über die Spielern erheben, noch weniger zu, weil die Spielergruppen sehr viel größer sind als im P&P, in ihrer Zusammensetzung stärker variieren und die Spielleiter weniger direkten Einfluss auf die Spieler ausüben. Der Spielleiter verleitet den Spieler also weder zum Suizid (13), noch (quasi als Initiationsritus, wie vermutet wurde) zu Gewalttaten oder kriminellen Handlungen. Junge Selbsttötungsopfer weisen häufig depressive oder Suchterkrankungen auf, oft sind sie sozial isoliert, was Rollenspieler, da das Spiel Gemeinschaft voraussetzt, nicht sind. Ebenso wenig neigen Rollenspieler verstärkt zu Psychosen, wie sie vorliegen würden, würde die Vermutung der Vermischung verschiedener Wirklichkeitsebenen, wie sie im Grunde jeder Mensch ständig erlebt, aber im Normalfall unterscheiden kann, zutreffen. Rollenspieler sind psychisch nicht instabiler als der Durchschnitt der Bevölkerung, wie Schmids empirische Studie belegt. Da FRS ihre Spannung im wesentlichen aus einer fiktiven Bedrohung oder Gefahr für die SCs beziehen, und Kampf häufig Bestandteil der Abenteuer ist, erweist sich die Frage nach der möglichen Verbindung der Inhalte von FRS mit realer Gewalttätigkeit jedoch als nachvollziehbar insbesondere in Bezug auf Liverollenspiel, wo tatsächlich, wenn auch nicht mit echten Waffen, gekämpft wird. Schmid sieht dies im Zusammenhang der Diskussion um Gewalt in Fernsehen und Film. Die Diskussion um Computer(rollen)spiele, etwa bezüglich der Problematik mittlerweile aufgetretener spezieller Formen von Spielsucht im Zusammenhang mit dem Online-Spiel ‚World of Warcraft’ oder im Hinblick auf Bezüge zum Diskurs über die Auswirkungen von Gewaltdarstellungen, weist ebenso durchaus Verbindungen zum Konflikt um die FRS auf. Auf dieses weite Feld kann jedoch im begrenzten Rahmen der vorliegenden Darstellung nicht näher eingegangen werden.
Es ist trotz verschiedentlich unternommener Versuche bisher nicht gelungen, die Befürchtungen bezüglich eines möglichen Realitäts- und Kontrollverlustes bei Spielern von FRS endgültig auszuräumen. Sogar bei den Spielern selbst und den Befürwortern des Spiels schleichen sich diesbezüglich mitunter Zweifel ein. Obwohl theatrale Praktiken und Theater allgemein bekannte bzw. allgegenwärtige Phänomene sind, wird für das FRS angenommen, dass den Spielern die Fähigkeit zur Unterscheidung von Selbst und Rolle fehle oder sie zumindest durch das Spiel abhanden kommen könnte. Als Gegenbeispiele werden der heutige Karneval, therapeutische und kindliche Rollenspiele angeführt, Praktiken, die in der Regel nicht zu Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit der Spielenden führen. Diese Gegenbeispiele sind jedoch nicht unproblematisch. Karneval oder Bräuche wie Schützenfeste u.ä. sind nicht mit FRS vergleichbar, weil sich Menschen dabei zwar kostümieren, aber in der Regel keine fiktiven Rollen annehmen. Die Schwierigkeit beim Vergleich von FRS mit Rollenspielen bei Kindern wie „Vater, Mutter, Kind“ oder auch „Räuber und Gendarm“ bzw. „Cowboy und Indianer“ liegt darin, dass diese Spiele als typisch für das kindliche Lernverhalten angesehen werden und das Hineinversetzen in Rollen und in eine Phantasiewelt hier einer begrenzten Phase der kindlichen Entwicklung angehört. Pädagogisches und therapeutisches Rollenspiel sind als Beispiele, die die Ansichten der Gegner von FRS widerlegen könnten, insofern problematisch, als diesen Formen des Rollenspiels keine Phantasiewelt, sondern in der Regel die Alltagswelt als Bezugsrahmen dient und die Spieler „sich selbst“ spielen oder sich in Personen aus ihrer Umgebung hineinversetzen, etwa um Aspekte ihrer eigenen Persönlichkeit zu erforschen oder bestimmte soziale Verhaltensweisen einzuüben. Der naheliegendste Vergleich ist der zwischen Fantasyrollenspieler und Schauspieler in einer Drameninszenierung, der innerhalb eines festgelegten zeitlichen, räumlichen und dramaturgischen Rahmens eine fiktive Rolle ausagiert, eine Person darstellt, die nicht mit ihm selbst identisch ist.
Sowohl die Nähe zum Spielen fiktiver Rollen im Theater als auch zum pädagogischen bzw. therapeutischen Rollenspiel wird von Rollenspielgegnern wiederum negativ bewertet. Dies ist mit dem Vorwurf, FRS würden in den Okkultismus bzw. Satanismus einführen, verbunden. Das Annehmen von Rollen im FRS, das Spielen von Elfen, Zwergen, Orks etc. wird von den Gegnern in die Nähe von dämonischer Besessenheit, wie sie von Satanisten berichtet wird, gerückt. Ulrich Skambraks beispielsweise deutet an, dass in den Gestalten der Fantasy und Science Fiction (wie E.T. oder ALF) die dämonischen Wesen alter Mythen und Märchen (z.B. Albe) zurückkehren, vormals Elemente heidnischer Religionen, die mit der Christianisierung in Europa im wahrsten Sinn des Wortes verteufelt wurden. Im Prinzip sieht Skambraks in den freundlichen Außerirdischen der Science Fiction nichts anderes als die Boten des Satans, die mit den Menschen Freundschaft schließen und die Ankunft seiner Heerscharen vorbereiten sollen. Skambraks kritisiert die Begegnung des alltäglichen Menschen mit einer bereits überwunden geglaubten phantastischen jenseitigen Welt im FRS. Andere Autoren argumentieren ähnlich gegen FRS (14). Die Vermischung von Alltagsrealität und Spielrealität wird, in der Regel bezogen auf D&D, dabei im Allgemeinen als die größte Gefahr angesehen, insbesondere, wenn es um scheinbar okkultistische und satanistische Elemente wie z.B. Magie geht, wobei die Spielpraxis ausnahmslos verfälscht und abschreckend dargestellt wird. Für die Autoren von FRS-kritischen Schriften ist der typische Fantasyrollenspieler ein introvertierter Junge mit irgendeinem körperlichen „Defekt“, der durch FRS negative Lebenserfahrungen zu kompensieren versucht. Weiterhin wird immer wieder in der fraglichen Literatur die Befürchtung vorgebracht, dass durch FRS die christlichen Moralvorstellungen korrumpiert werden und dass sich die Spieler genrell der christlichen Gemeinschaft und ihrer sozialen Kontrolle entziehen könnten. In diesem Zusammenhang wird an einigen Stellen auf die Ähnlichkeiten zwischen FRS und Psychodrama hingewiesen, ein Umstand, der von Befürwortern der Spiele positiv, von Rollenspielgegnern dagegen negativ bewertet wird: Phil Phillips, dessen Feindbild der „Humanismus“ ist, merkt kritisch an, dass Jacob Levy Moreno, der Begründer des Psychodramas, ein moderner Mystiker gewesen sei, der in seinen Schriften die Göttlichkeit jedes einzelnen Menschen postulierte. Bernd Dürholt, dessen Essay auch eine Streitschrift gegen Theosophie und New Age-Bewegung ist, und der im Gegensatz zu den USamerikanischen Autoren v.a. das deutsche FRS ‚Das schwarze Auge’ kritisiert, sieht ebenfalls Analogien der FRS zu kindlichen, pädagogischen oder therapeutischen Rollenspielen, und weist auf die Gefahr hin, dass durch Rollenspiele neben erwünschten auch unerwünschte Verhaltensweisen eingeübt werden könnten, der unerwünschte Effekt sei als Folge von FRS eher anzunehmen. Tatsächlich wurde die Wirkung von FRS auf Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre bislang kaum untersucht, Daten liegen meist nur über erwachsene Spieler bzw. ältere Jungendliche vor, daher ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass FRS in frühen Phasen der Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisation negative Auswirkungen auf die Spieler haben könnten. Derartige Fälle sind jedoch bislang nicht bekannt.
Was den Hauptkritikpunkt der christlichen Anti-FRS-Autoren betrifft, die Einführung in Okkultismus und Satanismus, sieht Schmid die Ursache für den relativ hohen Anteil aus dem Okkultismus entlehnter inhaltlicher Elemente in den betreffenden Spielen darin, dass im FRS die Spieler überwiegend die Rollen der gut gesinnten „Helden“ übernehmen, die sich dem „Bösen“ entgegenstellen, und daher dieses „Böse“ detailliert ausgearbeitet werden muss, um bei immer neuen Abenteuern die Spannung, den Reiz des Neuen zu erhalten. Dass die Gegenspieler der „Helden“ häufig in Gestalt von Dämonen auftreten, begründet Schmid damit, dass die Spieleautoren sich zum Erfinden der „Bösen“ ihrer eigenen Phantasie bedienen müssen, die von ihrem kulturellen Hintergrund, der abendländisch christlichen Kultur, geprägt ist. Betrachtet man die Entwicklung des Rollenspielmarktes, lässt sich feststellen, dass die mythologischen und religiösen sowie okkulten Aspekte in den Neuerscheinungen im Bereich P&P, etwa in den Spielen der World of Darkness, seit Ende der 1980er Jahre, nachdem die Satanismusvorwürfe gegen FRS in den USA ihren Höhepunkt erreicht hatten und leiser zu werden begannen, an Relevanz zunahmen. Tilmann Knopf, der sich in einer Studie mit den religiösen Implikationen von FRS auseinandergesetzt hat, weist darauf hin, dass die hinter den neuen FRS stehenden fiktiven Weltbilder sich von dem dualistischen Gefüge Gut und Böse, wie es für Fantasy als typisch anzusehen ist, verschieben zu Weltordnungen, in denen dieser Unterschied unscharf wird. Das trifft sowohl auf die World of Darkness, als auch auf die Genres Cyberpunk und Horror zu. Knopf bezeichnet diesen neuen Typus von P&P als Dark Fantasy. Spiele wie ‚Nephilim’ werden von ihren Autoren explizit als „occult roleplaying“ bezeichnet, sie nutzen die real existierende Welt als Spielhintergrund und fügen diesem okkulte Dimensionen hinzu. Während die herkömmlichen FRS ein an die griechische, römische oder germanische Mythologie angelehntes Pantheon beinhalten, also eine Theologie mit „musealem“ Charakter, bedienen sich die „occult roleplays“, deren Spielwelten in der Gegenwart oder einer fiktiven näheren Zukunft angesiedelt sind, christlicher sowie anderer gegenwärtig existierender religiöser Vorstellungen und stellen diese aus okkulter Perspektive dar. Das geht über die gewöhnlichen magischen Elemente im FRS hinaus (bereits für D&D wurde allerdings von seinen Kritikern angenommen, dass es ein Lehrwerk für real anwendbare Zauberei sei). Knopf hält die Magie in den klassischen FRS für unproblematisch: „Magie ist ein geradezu typisches Element der Rollenspiele. Magie ist im Rollenspiel aber auch meist etwas „alltägliches“. Die meisten FantasySpielsysteme sind sehr darum bemüht, „wissenschaftliche“ Erklärungen für die Existenz und die Anwendung von Magie in der jeweiligen Spielwelt zu liefern. Magie ist [...] also keineswegs okkult, sondern „naturwissenschaftlich“ erklärbarer Bestandteil der Spielwelten. Diese „wissenschaftlichen“ Erklärungen sind natürlich stark an die Gesetzmäßigkeiten der Spielwelt gebunden, allein [...] daher ist die Vorstellung, Spiel-Zaubersprüche könnten in unserer Realität ebenfalls Wirkung zeigen, bei psychisch gesunden Spielern praktisch auszuschließen“ (Knopf, 5.3.1.). Er sieht jedoch in den „occult roleplays“, obwohl auch bei diesen ihre Fiktionalität betont wird, eine Grauzone, in der er die Vermischung von Fiktion und Realität bzw. eine Verbreitung tatsächlicher okkultistischer Lehren für möglich hält. Da aber auch die „occult roleplays“ als gewöhnliche Tischrollenspiele gespielt werden, die in einem gesonderten Raum und in einer gesonderten Zeit stattfinden und in denen Handlungen in einem „als ob“-Modus vollzogen bzw. erzählt werden, ist dies trotz der aus christlich theologischer Sicht bedenklichen Inhalte unwahrscheinlich. Gleiches dürfte auf „okkulte“ Liverollenspiele wie ‚Vampire’ zutreffen.
Darüber hinaus funktioniert die Rollenspielergemeinschaft auf der Basis egalitärer und relativ unverbindlicher Strukturen. Geheimlehren, wie sie okkultistische Wissenschaften verbreiten, sind in hohem Maße dogmatisch und werden autoritär vertreten. Der grundlegende inhaltliche Synkretismus des FRS und die konstitutive Variabilität der Spielregeln bedingen einen ästhetischen, keinen wissenschaftlichen Charakter des Spiels. Über den Zusammenhang von Phantastischer Literatur, die eine wichtige Inspirationsquelle für FRS ist, und Okkultismus trifft Louis Vax folgende Aussage, die in einer verallgemeinerten Form auch auf das FRS übertragbar ist: „[...] die Okkultisten haben [im Gegensatz zu Verfassern Phantastischer Literatur, Anm. R. F.] keine wirklich schöpferische Phantasie, weil die Lehre ihren lehrhaften Charakter verlieren würde, wenn die Phantasie keinen Zwängen unterworfen wäre. Sie bekäme einen ästhetischen Charakter. Der Geheimwissenschaftler muss sich also mit der Wiederholung traditioneller Thesen begnügen [...]“ (Vax, S. 26). Die Notwendigkeit der ständigen Erneuerung des Spiels, etwa durch die Erfindung immer neuer Geschichten (Abenteuer und Questen), in denen festgelegte Elemente lediglich als Versatzstücke fungieren, aber keinen zentralen Stellenwert besitzen, steht dem Wesen des dogmatisch Okkultistischen entgegen. Nichtsdestotrotz können in der Rollenspielerszene durchaus hier und da Überschneidungen zu tatsächlich von okkultem Gedankengut geprägten Gruppierungen auftreten, ebenso wie zu Gruppen, die sich unter dem Sammelbegriff „Neuheidentum“ zusammenfassen lassen, welcher „neuere und gegenwärtige religiös-weltanschauliche Strömungen im europäisch-nordamerikanischen Kulturkreis [beinhaltet], die in einer bewussten Rückwendung zu vor- oder außerchristlichen europäischen Glaubensvorstellungen gründen und diese zum Teil wieder beleben wollen (z.B. den altgermanischen Götterglauben, den Mythos der „weisen Frauen“) sowie auch an außereuropäische Glaubensvorstellungen anknüpfen (z.B. den Schamanismus, die indianische Kultur)“ (15). Das ist allerdings nicht grundsätzlich als negativ zu bewerten, es sei denn, aus streng christlicher Sicht. Ein oft zitiertes Beispiel aus der Rollenspielerszene wäre eine Liverollenspielerin, die sich als „gläubige Hexe“ bezeichnet. Es ist allerdings zu vermuten, dass in solchen Fällen die betreffenden Frauen Liverollenspiele spielen, weil sie sich bereits vorher mit dem Wicca-Kult, der modernen Hexenreligion beschäftigt haben und durch inhaltliche Überschneidungen, wie etwa die Verwendung ähnlicher Symbolik als Teil des Ambientes, auf das Fantasyliverollenspiel aufmerksam wurden, nicht erst durch dieses zu Hexen wurden. Ebenso treten Spieler, abgeleitet von P&P mit historischem Hintergrund, im Fantasyliverollenspiel zwischen Elfen und Orks als christliche Kreuzritter auf, vermischen dies aber nicht mit ihren tatsächlichen Glaubensvorstellungen, da sie innerhalb des Liverollenspiels lediglich so tun als ob sie Christen seien (selbst wenn sie außerhalb der Spielwelt tatsächlich Christen sind), es existiert sogar im Spielzusammenhang eine fiktionalisierte Version des Christentums, das Ceridentum. Die Ebene des Spiels, der Phantasie, ist von der Ebene der religiösen Erfahrung getrennt. Sollte es trotzdem Spieler geben, die durch FRS zum Glauben an fiktive Götter, das nordische Pantheon, keltische Geisterwesen oder zu einer animistischen Naturreligion bekehrt wurden, so ist ihre Zahl höchstwahrscheinlich gering.
Knopf sieht dennoch die Kunstmythologien der klassischen FRS und auch der „occult roleplays“ in einer säkularisierten, postmodernen Gesellschaft, in der selbst das dominierende Christentum weitgehend „entmythologisiert“ wurde, zumindest als Möglichkeit eines Ersatzes für eine religiöse Erfahrungswelt v.a. im emotionalen Bereich, ohne dass dies durch tatsächlichen Glauben bedingt sein müsse und trotz der Tatsache, dass Realität und Spielwelt außerhalb des Spiels im Normalfall einander nicht durchdringen: „Religion und Mythologie im Rollenspiel ist meist relativ einfach und überschaubar. Götter existieren tatsächlich und sie wirken nachweisbar – so kann etwa ein Priester in vielen Rollenspielwelten mit Hilfe eines Gottes Wunder wirken. Dies kann m. E. durchaus als Kompensation des Erlebnisses der Gottesferne in unserer Realität gedeutet werden“ (Knopf, 5.3.2.).
Die Befürchtungen bezüglich P&P erscheinen, auf das Fantasyliverollenspiel übertragen, auf den ersten Blick noch gravierender, weil dort, von der „Außenwelt“ relativ abgegrenzt, nicht nur in Erzählung, sondern in Handlung (fiktive) Magie gewirkt, fremden Göttern gehuldigt und verschiedene Rituale durchgeführt werden. Der theatrale Charakter des Spiels muss dabei berücksichtigt werden. Allerdings wird die Tatsache, dass das Spiel im Modus des „so tun als ob“ ausgeübt wird, in der Öffentlichkeit mitunter nicht erkannt, trotz des im Vergleich zum P&P größeren Medienechos, welches das Liverollenspiel aufgrund seiner „optischen“ Attraktivität hervorruft (vgl. Schmid), also trotz einer größeren Vertrautheit mit dem Phänomen. Bettina Kelm, die 2002 mittels eines Komplexes von 58 Fragen eine Befragung von 100 Liverollenspielern durchführte, konnte jedoch für das Fantasyliverollenspiel keine realen Bezüge zu existierenden Religionen und sonstigen Glaubensvorstellungen feststellen, ebenso wenig zu Formen des Fanatismus, sei er religiöser oder politischer Art.

Anmerkungen

(1) Interessant ist, dass die Verteidiger von D&D sich an mehreren Stellen vehement gegen die Annahme wehren, dass dieses Spiel „live“ gespielt würde. Dass das Spiel nur in der Phantasie stattfindet und kein körperliches Agieren erfordert, wird als Argument gegen die von den Kritikern unterstellte Verschmelzung von Spieler und Spielercharakter bzw. Rolle und den damit angeblich einhergehenden Realitätsverlust angeführt. Nach dieser Logik würde Liverollenspiel also eher zu Realitätsverlust führen, was aber erfahrungsgemäß in der Regel nicht der Fall ist.

(2) Eskapismus meint die Tendenz, der Realität und ihren Anforderungen an das Individuum in Illusionen und Zerstreuungen auszuweichen. Sofern dies nicht mit einer Neurose verbunden ist, argumentieren Rollenspieler, dass in jedes Ausüben eines Hobbies und die Zerstreuung durch Unterhaltungsmedien als eskapistisch zu bezeichnen sei und daraus kein Vorwurf speziell gegen FRS abgeleitet werden könne.

(3) Dass dies bei Christen auf Kritik stößt, sofern man annimmt, dass D&D zur tatsächlichen Annahme von Glaubensinhalten auffordert (was nicht der Fall ist, es sei denn, bezogen auf einen SC für die Dauer des Spiels), ist nachzuvollziehen, gebietet doch die Bibel: „Ich bin Jahwe, dein Gott [...]. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgend etwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott [...].“ (Exodus 20, 2-5.)

(4) Vgl. Pulling, u.a. S. 101-102, 104-107 u. 110-112. Leider sind die von Pulling in ihrem Buch beschriebenen Beispiele oft nicht mit exakten Angaben und fast nie mit ausreichenden Quellenangaben versehen.

(5) Nichtsdestotrotz gab die RPGA später Richtlinien heraus, nach denen sich die Autoren bei der Produktion von P&P richten sollten. Diese Richtlinien enthielten unter anderem das Gebot, „keine detaillierten Beschreibungen von kriminellen Handlungen, Drogenmissbrauch und anderen Methoden zu geben, die in der Alltagsrealität nachgeahmt werden könnten, sowie [den] Aufruf, das „Böse“ niemals in einem attraktiven Lichte erscheinen zu lassen. Nicht zuletzt wird darauf aufmerksam gemacht, Angehörige von z.B. Exekutive, Legislative etc. nicht derart darzustellen, dass sich [Spieler] dazu verleitet sehen, Realpersonen keinen entsprechenden Respekt zu zollen. Nachdem auch einige Verhaltensweisen, die als obszön, pervers oder vulgär gesehen wurden, verboten [wurden], [brachten] die Regelungen nicht nur Befürworter, sondern ebenso Gegner [hervor]. So manche Anordnungen würden die Freiheit des Spiels zu sehr einschränken, vielmehr jedoch zur Diskriminierung der Teilnehmer führen. Diese wäre z.B. auf homosexuelle SpielerInnen gerichtet [...]“ (Grumiller, S. 49).

(6) Vgl. Tracy Raye Hickman: Ethics in Fantasy. Morality and D&D. Part 2. Concerned About Role Playing, 1988, 1996, http://www.trhickman.com/Intel/Essays/Ethic2.html (05.06.2002), „Satanism”.

(7) Stackpole deutet an, dass ironischerweise der Kampf gegen D&D auf dessen Gegner einen ähnlichen Effekt von Realitätsverlust gehabt habe, wie er von ihnen für das Spiel angenommen wurde: „They fight so hard to point out that the ghosts and goblins that they see are real, they lose touch with the real world. Gathered together they reinforce their skewed impressions of reality, and defend each other against rational attempts to show them the errors of their ways.” (Stackpole, „Larry Jones and File 18”.)

(8) Vgl. dazu die empirische Studie von Stuart M. Leeds: Personality, Belief in the Paranormal, and Involvement with Satanic Practices Among Young Adult Males. Dabblers versus Gamers. In: Cultic Studies Journal. Psychological Manipulation and Society 12/2, 1995.

(9) Vgl. Suzanne Abeyta u. James Forest: Relationship of Role-Playing Games to Self-Reported Criminal Behaviour. In: Psychological Reports 69, 1991, S. 1187-1192.

(10) Vgl. Armando Simón: Emotional Stability Pertaining to the Game of Dungeons & Dragons. In: Psychology in the Schools 24, October 1987, S. 329-332. Pulling versuchte, Simón in ‚The Devil’s Web’ unglaubwürdig zu machen, indem sie ihm unterstellte, er habe mittels des Spielens von D&D eine Fünfzehnjährige sexuell verführt (vgl. Pulling, S. 43 u. 104). Tatsächlich wurde Simón 1985 u.a. wegen Vergewaltigung zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch schon nach anderthalb Jahren aus der Haft entlassen. Diese Vorkommnisse motivierten wohl auch seine Studie über D&D-Spieler. Stackpole bewertet Simóns Vergehen folgendermaßen: „Not only is it absurd to suggest that the above crime took place because of D&D, but it is ridiculous to even imply that it would not have taken place were D&D not around […]. Simon’s seduction of the girl was abuse of trust between patient and therapist and had nothing to do with a game.” (Stackpole, „Dr. Thomas Radecki”.)

(11) Noch 1999 beschuldigte ein Parteiblatt mittels eines tendenziösen Artikels D&D, ein Instrument zur Gehirnwäsche und der Erziehung zur (militärischen) Gewalt, vgl. Anton Chaitkin: Zum Töten programmiert. In: Neue Solidarität 18, 05.05.1999, http://www.mittellande.de/ (Pressespiegel) (25.08.2008).

(12) Vgl. Ungdomsstyrelsen (Hg.): Rollspel som fritidssysselsättning. Stockholm 1997. http://www.sverok.se/fileadmin/dokument/Rapporter/Rollspel/Rollspelsomfritidsysselsattning.pdf (28.08.2008).

(13) Nach Schmid hat die Annahme eines Zusammenhangs von FRS mit Selbstmord, der nicht nachweisbar ist, andere Gründe: „Es liegt in der Natur des menschlichen Denkens, dass wir bei dem Zusammentreffen seltener Ereignisse schnell und unzulässigerweise zu dem Schluss kommen, es bestünde ein kausaler Zusammenhang. [...] der Fachterminus dafür ist „Illusionäre Korrelation“ [...]. Erkennbar wird es, wenn Eltern- oder kirchliche Organisationen anfangen, das Zusammentreffen solcher Ereignisse zu beobachten und zu sammeln“, wie BADD es systematisch getan hat (vgl. Schmid).

(14) Außer Pullings „The Devil’s Web“ sind zu nennen als die erste Anti-FRS-Schrift John Weldon u. James Bjornstad: Fantasy – Das Spiel mit dem Feuer, Asslar 1984, weiterhin Phil Phillips’ und Joan Hake Robies „Turmoil in the toy box“ von 1986, sowie dessen Nachfolger (dt.: Aufruhr in der Spielzeugkiste, Gefahr für unsere Kinder, 1988, und: Neuer Aufruhr in der Spielzeugkiste, die Bedrohung wächst, 1991), außerdem Bob Larson: Geht unsere Jugend zum Teufel? Hg. von Jsolde Steilemann, Neuhausen-Stuttgart 1990, und Bernd Dürholts „Educatio magica“ von 1991.

(15) Brockhaus Multimedial. Mannheim 2000, „Neuheidentum“ [CD-Rom].

Literatur

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Dürholt, Bernd: Educatio magica. Fantasy-Spiele – Spiele zum Verderben? München 1991 (Dokumentations-Edition 19).

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Grumiller, Wiltraud: Das Fantasy-Rollenspiel bei Erwachsenen. Die Bedeutung des Fantasy-Rollenspiels für die psychosoziale Weiterentwicklung des Erwachsenen. Wien 1997 [Diplomarbeit].

Hately, Shaun: The Disappearance of James Dallas Egbert III. In: Deja News. The Leader in Internet Discussion, 08.04.1998, http://www.dejanews.com u. 15.06.1998, http://www.hoboes.com/pub/Role-Playing/About%20Gaming/Role-Playing%20Defense/Dallas%20Egbert%20Part%201 u. http://www.hoboes.com/pub/Role-Playing/About%20Gaming/Role-Playing%20Defense/Dallas%20Egbert%20Part%202 (07.06.2002).

Hughes, Jay: Sellers’ Execution Reignites Debate. In: Associated Press, 25.01.1999, http://www.theescapist.com/sellers1.htm (23.04.2003).

Kelm, Bettina: Das Live-Rollenspiel. Theatrale Elemente und Rollenverständnis. München 2002 [Magisterarbeit].

Knopf, Tilmann: Fantasy-Rollenspiele. Eine neue Herausforderung für Religionsunterricht, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Analyse und Ansätze für den Umgang mit dem Problemkreis. Salzburg 1996 [Praxisarbeit im 2. Lehrvikariatsjahr], http://www.rpg.net/252/quellen/knopf/index.html (07.06.2002)

Ledermann, Katrin u. Skambraks, Ulrich: Der Griff nach unseren Kindern. Einblicke in ein (un)heimliches Erziehungsprogramm. 5. Aufl. Asslar 1990.

Löcker-Rauter, Brigitte: Fantasy-Rollenspiele. Eine volkskundliche Analyse von Struktur, Funktionen und Risikofaktoren unter besonderer Berücksichtigung von anderen sagenhaften Geschichten. Wien 1996 [Diplomarbeit].

Molitor, Darren: Dungeons and Dragons. St. Louis, Missouri 22.03.1985, http://logosresourcepages.org/dnd-ovr.html (07.06.2002).

Phillips, Phil u. Robie, Joan Hake: Aufruhr in der Spielzeugkiste. Gefahr für unsere Kinder. Marburg an der Lahn 1988.

Pulling, Pat: Das Teufelsnetz. Sie wollen unsere Kinder. Und wenn wir uns nicht wehren, ist es zu spät. Marburg an der Lahn 1990 [OT: The Devil’s Web].

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